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Wir müssen über Sprache reden

Liebe Kolleginnen und Kollegen der schreibenden Zunft,
Liebe Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Medienhäusern.
wir müssen reden.

Das haben wir in den vergangenen Tagen schon, nachdem der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass der generische Maskulinum auf Bankformularen in Ordnung ist. Aber um diese Entscheidung soll es gar nicht gehen. Es geht um eure Reaktionen und die einiger meiner Bekannten, die mir eiskalte Schauer den Rücken herunterjagen. Denn, ganz ehrlich, wenn ich noch einmal so etwas aus JournalistInnenmunde höre wie „Sprache muss schön bleiben“, dann fange ich an zu schreien.

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Gegen Diskriminierung, aber nicht auf Kosten der Sprache!

Es passiert immer wieder, dass irgendein Artikel aus irgendeinem eher konservativen Blatt in meiner Timeline auftaucht, in dem sich wieder irgendjemand über „Gender Mainstreaming“ oder verwandte Themen aufregt. Ich schrieb ja auch schon etwas darüber.

Jüngst tauchte der „Genderwahn“ auf. Der Studiblog hatte sich, basierend auf einem Artikel der Welt, dem Thema angenommen. Könne ja nicht sein sowas! So bzw. ähnlich wurde der „Genderwahn“ von Nutzern bei Facebook kommentiert. Was mal wieder zeigt, dass der Deutsche1 beim Thema „Gender“ seinen Verstand ausschaltet. Eine Analyse des Artikels beim Studiblog, bei Welt und was das Ganze mit Journalismus zu tun hat.2

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  1. Manchmal auch die Deutsche. []
  2. Spoiler: Gar nichts. []

Das große Abschaffen

Seit Sarrazin schafft sich irgendwas oder irgendwer in Deutschland permanent ab. Seit Sarrazin ist „XY schafft sich ab“ aber auch immer mit einem faden Beigeschmack behaftet: Schon „schafft sich ab“ weckt fast unweigerlich Assoziationen mit „armen Deutschen“ und irgendwie „bösen Ausländern“.

Ein besonders schönes Beispiel für gewollte oder ungewollte negative Assoziationen ist der Artikel „Massenverblödung: Das gebildete Deutschland schafft sich ab“ von Reinhard Mohr erschienen auf welt.de.

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Warum „political correctness“ Blödsinn ist

Man hört immer wieder, dass „Political Correctness“ hierzulande übertrieben wird. Es gehe zu weit, wenn man die „Zigeunersoße“ nicht mehr so nennen dürfe, der Verlust der „Negerküsse“ sitze immer noch zu tief. Auch die Abart der „PC“, das „Gender-Mainstreaming“ wäre etwas zu viel des Guten. „Bundeskanzlerin“ gehe ja noch in Ordnung, aber „Studenten“ umfasse nun wirklich alle Geschlechter.

Es stimmt, der Begriff der „political correctness“ ist ausgemachter Blödsinn. Nicht nur, weil „Politik“ in den Augen vieler ausgemachter Blödsinn ist, sondern weil es nichts mit „politischer Korrektheit“ zu tun hat, wenn man Wörter wie „Neger“, „Schwuchtel“, „Zigeuner“ o.ä. mehr sagt. Es hat etwas mit Menschlichkeit zu tun. Es hat damit zu tun, dass man beleidigende Begriffe vermeidet. Wenn Menschen mit einer anderen Hautfarbe nicht als „N…“ bezeichnet werden wollen, sondern als „Schwarze“ oder Afrodeutsche/-amerikaner/-…, dann ist das ihr gutes Recht, weil das N-Wort ihnen in Zeiten der Unterdrückung und Sklaverei aufgedrückt wurde. Wer das, beispielsweise als „Deutscher“ nicht versteht, der müsste eigentlich auch kein Problem damit haben, wenn man ihn als „Nazi“, „Mof“, „Boche“ oder „Kraut“ bezeichnet. Wer den generischen Maskulinum verteidigt, der muss sich fragen, warum er den generischen Femininum so vehement ablehnt, ist es doch nur die andere Seite der gleichen Medaille.

„Politische Korrektheit“ wird heute gerne abwertend benutzt, man rühmt sich, wenn man es wagt, „inkorrekt“ zu sein. Der Begriff hat einen Bedeutungswandel durchgemacht, der Kampf gegen „übertriebene“ Korrektheit wird wacker geführt, d.h. es werden wacker weiter beleidigende und diskriminierende Begriffe benutzt. Hat man ja schon immer so gemacht.

„Politische Inkorrektheit“ hat dabei eigentlich nie etwas damit zu tun, dass man seine Meinung sagt. „Politisch inkorrektes“ Verhalten ist kein Aufbegehren, es ist gelebte Beleidigung und Diskriminierung. Wer also diese Inkorrektheit vorschiebt, will sich eigentlich nur nicht eingestehen, dass er andere beleidigt und diskriminiert. Wer sich „politisch inkorrekt“ verhält, verhält sich menschlich inkorrekt.

Die Wahrnehmung der Sprache

Der Lehrerfreund postete heute auf Facebook:

Das einzige mir bekannte kommerzielle Angebot, das konsequent das GENERISCHE FEMININUM verwendet – respect!

Es ging dabei um die Internetseite der Firma Tupperware, die in einem Eintrag schreibt:

Zum Zweck der besseren Lesbarkeit beschränken wir uns auf die Schreibung in weiblicher Form. Selbstverständlich sprechen wir mit unseren Aussagen auch die männliche Zielgruppe an.

Normalerweise ist diese Einschränkung genau andersherum üblich: Es wird festgestellt, dass die männliche Form, der generische Maskulinum, auch die Frauen anspricht. Interessant an diesem Eintrag von Tupperware ist, dass man sich selbst dabei beobachten kann, wie der „generische Femininum“ auf einen wirkt. Zwar setzt Tupperware diesen Anspruch nicht um, die meisten Formulierungen decken explizit beide Geschlechter ab, aber dennoch: Es wirkt merkwürdig, da es unserem Sprachgebrauch widerspricht. Das ist nichts schlimmes und spricht auch nicht gegen die Verwendung eines generischen Femininums, es wirft aber ein interessantes Licht auf das übliche Argument für den generischen Maskulinum: Der schließt Frauen mit ein.1 Die „Gegenprobe“ zeigt, dass der generische Maskulinum eben nicht alle Geschlechter mit einbezieht, da es andersherum auch nicht der Fall ist. Beim Lesen fühlt man sich als Mann nicht angesprochen, wenn da „Beraterin“ oder ähnliches steht. Wieso sollte sich also eine Frau angesprochen werden, wenn konsequent nur die männliche Form benutzt wird?

Aber die Kommentare zum Facebook-Eintrag zeigen noch etwas anderes: Im ersten Kommentar, der mittlerweile gelöscht wurde, fragte ein Lehrer des privaten evangelischen Lukas Gymnasiums in München: „Respekt?“ Diese „Abwertung“ der Vorgehensweise von Tupperware und der Meinung des „Lehrerfreunds“ ist typisch. Geschlechterneutrale, geschlechtergerechte Sprache oder gar der generische Femininum wird in einer ersten Reaktion von vielen Männern, aber auch Frauen, als Blödsinn, Sprachverhunzung usw. abgetan. Ich gebe zu, dass auch ich zunächst, im Sinne von früher, eher der Meinung war, dass man alles so lassen solle, wie es war. Mittlerweile haben Worte wie „Studierende“ oder „Lehrkraft“ den generischen Maskulinum bei mir nahezu verdrängt.2 Sprache ist lebendig und überlebt solche Veränderungen ohne Probleme. Sprache bedeutet aber auch Macht und die bisherigen Machtinhaber, nämlich die Männer, tun sich teilweise sehr schwer, ein Stück ihrer Macht abzugeben. Der Lehrer aus München ist da nur ein Beispiel.

Aber auch die Antwort des Lehrerfreunds auf den mittlerweile gelöschten Kommentar ist interessant:

Das muss man sich als Firma erst mal trauen. Und da Tupper zu 99% weibliche Kundschaft haben dürfte, ist das doch völlig passend.

Zunächst muss eine Firma es sich wohl tatsächlich „trauen“, den generischen Femininum einzusetzen,3 aber selbst geschlechtergerechte bzw. -neutrale Sprache setzt sich erst langsam bei Firmen und Institutionen durch. Aber auch die „Rechtfertigung“ der eigenen Meinung durch das „Argument“, dass Tupper zu 99% weibliche Kundschaft habe und es dadurch passend sei, ist merkwürdig: Eine zielgruppenorientierte Ansprache würde keinen Respekt verdienen und das ist es auch nicht, was Tupper tut. Tupper dreht mit dem Statement der besseren Lesbarkeit die typischen Argumente um und genau das verdient Respekt. Das sollte man sich, wenn man das anerkennt, nicht hinter Zielgruppenvermutungen verstecken.

  1. Weil, war schon immer so und so []
  2. Nicht überall, nicht konsequent, aber ich versuch’s. []
  3. Der ja an sich gleichermaßen diskriminierend ist, wie der generische Maskulinum []

Jahrelange, erfolgreiche Zusammenarbeit

In der Ostfriesen-Zeitung ist die Tage ein Artikel über das geplante Frei.Wild-Konzert in Aurich erschienen, der sich im Schwerpunkt mit der Facebook-Seite Kein Frei.Wild in Aurich auseinandersetzt und der Artikel Weder frei, noch wild: Deutschrock aus Norditalien von Heribert Schiedel wird zitiert. Der Artikel von Schiedel analysiert recht nett die Aussagen verschiedener Lieder und den Inhalt von Distanzierungen der Band.

Interessant am Artikel der OZ ist aber die Stellungnahme von Marema. Im Artikel heißt es:

Der Veranstalter Marema kann die Kritik an dem geplanten Konzert ebenso wenig nachvollziehen […]. „Wir arbeiten seit Jahren erfolgreich mit dem dem management von Frei.Wild in Kombination mit der ICS Festival Service GmbH zusammen“, teilte eine Sprecherin […] mit. Bereits vor drei Jahren habe man ein sehr erfolgreiches Konzert mit Frei.Wild in Bremen veranstaltet, bei dem es weder im Vorfeld noch im Nachhinein Probleme oder Diskussionen gegeben habe. Die Band toure seit Jahr und Tag erfolgreich durch die gesamte Republik […]. Dass es in Aurich Widerstand gebe, könne man nicht nachvollziehen, so Marema.

Diese Art von Argumentation klingt ja auf den ersten Blick ganz nett, allerdings beinhaltet sie keine Aussage darüber, ob sich Marema (oder ICS) mit den aktuellen Vorwürfen und Diskussionen auseinandergesetzt hat. Wenn man bedenkt, dass die breitere öffentliche Auseinandersetzung mit Frei.Wild noch gar nicht so alt ist, ist es kein Wunder, dass es „früher“ keine Probleme gab. Entweder geht Marema hier auf Nummer sicher, weil eine interne Auseinandersetzung mit den Bands, die man so anbietet, noch nicht stattgefunden hat, oder es ist Marema schlicht und ergreifend egal.

Eine etwas kritischere Auseinandersetzung hat hingegen wohl bei Visions stattgefunden. das Musikmagazin zieht sich aus der Präsentation des With Full Force-Festivals zurück. In der Begründung heißt es u.a.:

Schon 2010 trat die Südtiroler Band in Roitzschjora auf, damals noch als relativ unbekannte Deutschrock-Band – zumindest für uns, denn wir als Festivalpräsentatoren nahmen die Band zum damaligen Zeitpunkt schlichtweg nicht wahr. Dabei waren Textpassagen wie „Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik/ An diesem heiligen Land, das unsre Heimat ist/ Drum holt tief Luft und schreit es hinaus/ Heimatland, wir geben dich niemals auf“ (aus „Südtirol“) kaum als harmlose Heimatliebe misszuverstehen. Was die Band selbst mit ihrer Südtiroler Herkunft erklärt, erinnert zugleich immer wieder stark an Gedanken und Werte des klassischen Rechtspopulismus.

Visions gesteht genau das ein, was ich Marema an dieser Stelle unterstelle: „Früher“ hat schlicht keine Auseinandersetzung mit den Inhalten der Band stattgefunden. Weiter heißt es:

Dass nicht jeder Frei.Wild-Fan gleich rechts von der Mitte ist, versteht sich von selbst – wie es sich mit Burger verhält, kann jedoch nach wie vor in Frage gestellt werden. […] Die Band selbst behauptet immer wieder, unpolitisch zu sein. In ihren Texten weisen Frei.Wild jeden Vorwurf in diese Richtung von sich […]. Aufkeimende Kritik – die Veranstalter des With Full Force nennen es „Hexenjagd“, an der man sich nicht beteiligen wolle – wird sogar mit einer Anspielung auf die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten verglichen: „Nichts als Richter/ Nichts als Henker/ Keine Gnade und im Zweifel nicht für dich/ Heut gibt es den Stempel, keinen Stern mehr“ (aus „Wir reiten in den Untergang“). Und in einem Song wie „Wahre Werte“ werden Parolen verkündet, wie man sie von Rechten kennt: „Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen/ Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen“. Wir sind weder der Meinung, dass diese Textpassagen unpolitisch sind, noch glauben wir, dass „Gegen Rechts!“-Aktionismus diese Aussagen wettmacht.

Das deckt sich mit meiner Meinung: Ein „gegen Rechts!“-Aktionismus bedeutet keine Absolution der Texte. Die Texte stehen, egal wie Burgers eigene Einstellung nun auch immer sein mag, für sich und sprechen eine teilweise sehr deutliche Sprache. Die Schlussformel des Statements kann man auch auf Marema anwenden:

Als Festivalveranstalter mit Toleranz zu kokettieren und „Hexenjagden“ abzulehnen, wenn es um abgrenzenden Nationalismus geht, geht uns gegen den Strich. Deshalb findet das With Full Force 2013 ohne VISIONS statt.

Zwar hat Marema keine Aussage gegenüber der Berichterstattung getätigt, aber es ist kaum vorstellbar, dass die immer vehementer vorgebrachten Vorwürfe spurlos am Veranstalter vorbeigegangen sind. An anderen Sponsoren, die in Kontakt mit Frei.Wild geraten sind, ist die Diskussion schließlich auch nicht vorbeigegangen. Laut den Ruhrbaronen wurde folgende Meldung von Jägermeister bestätigt:

Die Mast-Jägermeister SE hat in ihrem Leitbild Werte wie Weltoffenheit, Toleranz und Respekt fest verankert. Zu diesen Werten stehen wir. Diese Werte leben wir. Jägermeister wird heute in rund 90 Ländern weltweit konsumiert und ist damit nicht nur im niedersächsischen Wolfenbüttel, sondern auf der ganzen Welt in vielfältigen Kulturen zu Hause.

Vor dem Hintergrund unserer Werte werden wir das geplante Sponsoring des Festivals „With Full Force“ zunächst stoppen. Wir erwarten vom Veranstalter zum geplanten Auftritt der umstrittenen Band Frei.Wild auf dem Festival eine klare Stellungnahme. Sollte der Veranstalter weiterhin das Booking der Band bestätigen, werden wir unsere Sponsoring-Aktivitäten einstellen.

In Aurich wird die Diskussion spannend bleiben, auch wenn es von Fan-Seite nach dem OZ-Bericht und den WFF-Absagen (gefühlt) deutlich ruhiger geworden ist. Die Initiative gegen den Auftritt verspricht Gegenaktionen, Demos usw. Abwarten. Es wäre auf jeden Fall zu begrüßen, wenn sich Marema zu mehr als nur „früher war doch auch alles okay“ hinreißen lassen könnte. Ansonsten ist das Statement nämlich schlicht und ergreifend inhaltslos und sinnfrei.

Frei.Wild und die Diskussionskultur

Die Band Frei.Wild ist ein Phänomen, welches seit einiger Zeit durch Deutschland und auch immer wieder durch die Medien geistert. Die dominierende Frage dabei ist, ob die Mitglieder von Frei.Wild nun Rechtsextreme/Nazis sind oder eben nicht. Diese Frage ist aber wenig zielführend, da sie bei vielen Menschen eh nicht so eindeutig beantwortet werden kann und noch viel weniger werden es offen zugeben, zumal wenn die „Befragten“ in der Öffentlichkeit stehen. Es ist viel mehr wichtig zu fragen, ob das, was Frei.Wild in ihren Texten singen, nationalistisch, völkisch oder ähnliches ist. Aber selbst, wenn man diese Frage mit „Ja“ beantwortet, macht das aus den Bandmitgliedern noch lange keine Nazis. Ich selbst kenne genug Personen, die sich mit ihren Äußerungen am rechten Rand bewegen, als Nazis würde ich sie deswegen trotzdem nicht bezeichnen. Die Band distanziert sich auch mit mehreren Aktionen gegen Rechtsextremismus, wobei dieser Umstand wiederum nicht gleichzusetzen ist mit einer Absolution gegenüber den Texten.

Frei.Wild stammen aus Südtirol, welches bekanntlich zu Italien gehört. In Südtirol sprechen aber knapp 64% der Bevölkerung Deutsch, was neben Italienisch auch die Amtssprache ist. Frei.Wild gehören zum deutschsprachigen Teil Südtirols. In ihren Texten geht es, durchaus nach eigenem Bekunden, um Freundschaft, Geld, Alkohol, Führerscheinentzug, Freiheit, den Umgang mit Rückschlägen und Niederlagen sowie um die Heimat. Klassische Inhalte, die an sich nicht verdächtig sind. Auch Lieder auf die Heimat oder das, was als Heimat empfunden wird, sind keine Seltenheit im deutschsprachigen Liedraum. Es geht also um konkrete Inhalte.

In der Berichterstattung werden immer wieder ganz bestimmte Lieder herangezogen, darunter „Land der Vollidioten“, welches wie folgt beginnt:

Das ist das Land der Vollidioten,
die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat.
Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten,
wir sind einfach gleich wie Ihr .. von hier.

Die hier angewandten Mechanismen sind durchaus interessant. Auf der einen Seite wird sich distanziert von „Anarchisten“ und „Neonazis“, auf der anderen Seite distanziert man sich von all denen, die denken, dass „Heimatliebe […] gleich Staatsverrat“ ist. Zugleich solidarisiert man sich mit allen, die „von hier“ sind. Als Südtiroler müssten sie mit „von hier“ eigentlich Südtirol meinen (also Italien). Mit „hier“ ist aber mehr als nur Südtirol gemeint, es ist etwas deutsches im weiteren Sinne gemeint. Im Lied „Wahre Werte“ heißt es: „Unser Tirol gibt es seit zwölfhundert Jahren“. Tirol gehörte vor gut 1200 Jahren noch zum Großherzogtum Bayern. Auch wenn sich die Herzogtümer und Staaten seit damals mehrfach geändert haben, scheinen sich Frei.Wild als „deutsch“ und nicht als „italienisch“ zu sehen. Die Gemeinschaft, die mit den Worten „von hier“ aufgemacht wird, geht also weit über Südtirol hinaus und ist bezogen auf „deutsch“. „Gleich wie ihr, von hier“ macht außerdem noch eine Abgrenzung zwischen denen, die gebürtig/kulturell von „hier“ kommen und „den anderen“, auf die das eben nicht zutrifft, auf. Dies ist eine  nationalistische Argumentation, die dem „exklusiven Nationalismus“ zuzuordnen ist. Es wird eben nicht die Nation als Mischung verschiedener Bevölkerungsanteile mit verschiedenen kulturellen Identitäten beschrieben, sondern etwas in der Vergangenheit begründetes, überhöhtes.

Diese Abgrenzung und Rückbesinnung auf etwas Ur-(deutsches)(nationales) wird noch verstärkt durch ein paar Zeilen später im Lied „Land der Vollidioten“. Dort heißt es:

Der Rest in Italien schämt sich nicht zu sagen,
woher er kommt!
Wir sind Opfer einer Resozialisierungspolitik,
und viele Leute bei uns bemerken es nicht.

Wenn „der Rest in Italien“ sich nicht schämt, muss es zu Südtirol einen Unterschied geben. Der Unterschied besteht im „Deutschsein“, womit die Brücke zu immer wiederkehrenden, bundesdeutschen Debatten über Patriotismus und „Resozialisierungspolitik“ gezogen wird. Auch hier wird auf nationalistisch-völkischer Ebene argumentiert. Die Meinung über „andere“ wird kurz darauf auch noch einmal deutlich.

Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt
vor den andersgläubigen Kindern.

Respekt vor anderen kulturellen Identitäten ist also etwas, was nur „Vollidioten“ tun. Südtirol bzw. der deutschsprachige Raum sind eng mit dem Kreuz (=dem Christentum) verbunden und Schulen zu einem säkularisierten Raum zu machen, ist dumm. Der Ist-Zustand heterogener Gesellschaften, die Pluralität wird hier abgestraft und es wird sich wieder eine völkisch-nationalistisch-historische „Identität“ herbeigesehnt. Die Absage an politische Lager, die auch aber nicht nur in diesem Lied vollzogen wird, ändert an diesem Umstand nichts. Der Inhalt des Liedes bleibt völkisch und nationalistisch motiviert.

Zurückgehend auf den Anfang des Artikels bedeutet dies nicht, dass Frei.Wild Nazis, rechtsextrem oder ähnliches sind. Es bedeutet nur, dass einige ihrer Lieder1 nationalistische Inhalte transportieren. Inhalte, die man aus rechtsextremen und identitären Lagern kennt. Dieser Umstand ist nicht wegzureden und es ist auch egal, dass Frei.Wild nicht die einzigen sind, die das tun. Auch Musiker wie Xavier Naidoo schlagen mitunter ähnliche Themen mit ähnlichem Vokabular an. Frei.Wild und auch die Fans dieser Gruppe, müssen es sich nur gefallen lassen, dass man so etwas grundsätzlich kritisch hinterfragt und in weiteren Schritten dann evtl. nach der Motivation fragt: Warum distanziert sich die Band auf der einen Seite von rechtsextremen Gruppierungen, fischt aber genau in den Gebieten, die u.a. zum Kerngebiet dieser Gruppierungen gehören. Und warum singen die Fans diese Texte mit voller Inbrunst mit? Gerade die letzte Frage kann man wohl guten Gewissens damit beantworten, dass die Texte Zustimmung finden. Das macht die Fans nicht zu Nazis, aber man muss fragen, warum ein Fan dem nationalistisch-identitärem Duktus zustimmt oder ob das überhaupt so wahrgenommen wird.

Diese Diskussion wird aber leider nicht geführt. Zu schnell sind die Gegner dabei, die rechtsextreme Vergangenheit und Verknüpfungen des Leadsängers ins Feld zu führen. Das ist falsch, weil argumentativ schwach. Es muss um die konkreten Liedtexte gehen, vor allem um die Texte, die offensichtlich oder versteckt nationalistisch, völkisch und identitär argumentieren. „Das, was du sagst ist nationalistisch“ muss Grundlage aller Diskussion sein, nicht „Du bist nationalistisch“. Insofern gehen die meisten Artikel und auch der heute in den Ostfriesischen Nachrichten erschienene an einer sinnvollen Diskussion vorbei. Es geht zunächst nicht darum, ob Frei.Wild eine rechtsextreme Band sind, sondern darum, ob die Texte gewisse, an den rechten Rand gehörende bzw. dort besonders populäre Inhalte transportieren. Um es mit dem Ende des nachfolgenden Videos zu sagen: I don’t care what you are. I care about what you did.

P.S.: Bitte das im Video genannte Beispiel „Rassismus“ gedanklich durch „Nationalismus“ ersetzen. Bevor das jemand falsch versteht. Es geht um die am Beispiel festgemachte Art der Argumentation, nicht um das Beispiel.

  1. auch wenn hier nur eines genauer betrachtet wurde. []

So machen wir das – Die CDU und ihre Vorstellung von Niedersachsen

Die CDU hat kürzlich ihren Wahlkampfsong „So machen wir das“ veröffentlicht. Grund genug, sich einmal die Bildsprache des Videos dazu anzugucken und einen Blick auf den Text zu werfen.

Im Lied selbst werden, je nach Zählung, zwei bis drei Positionen aufgemacht. Die oberste Kategorie ist Niedersachsen, die zweite ist ein zusammenfassendes Wir. Die dritte Position wird im Laufe des Liedes den ersten beiden gegenüber gestellt.

„Niedersachsen“ und „Wir“ bilden schon in der ersten Zeile eine Einheit: „Unsere Liebe: Niedersachsen“. Die ersten Verse des Liedes sind folgende:

Unsere Liebe: Niedersachsen
Für dich sind wir motiviert
Deine Chancen zu entfalten
Mutig unser Land gestalten
Unser Fleiß für dieses Ziel

Hier wird eine Gemeinschaft suggeriert, die eigentlich, auch wenn das Lied von der CDU ist, ganz Niedersachsen umfasst. Durch den Urheber CDU schließt sich diese natürlich in diese Gemeinschaft ein, wird Teil derer, die „mutig“ das Land gestalten.

Was Niedersachsen und die Gemeinschaft ausmacht, wird in den nächsten Versen zum ersten Mal beschrieben. Wer zum „wir“, zu „Niedersachsen“ gehört, den zeichnet folgendes aus:

Klarer Blick und klare Kante.
Handbreit Wasser unterm Kiel.
Perspektiven, Traditionen,
Zuversicht und Augenmaß,

Hier wird vermehrt auf die „typischen“ norddeutschen Eigenschaften (Klarheit, Seefahrt) Bezug genommen. Die leicht gegensätzlichen Substantive „Perspektiven“ und „Traditionen“ bzw. „Zuversicht“ und „Augenmaß“ kommen hinzu und demonstrieren sowohl Zukunftsorientierung als auch ein gewisses Bewusstsein für die Geschichte. Das Augenmaß nimmt indirekt den klaren Blick wieder auf. Gerade die vier Substantive werden in den nächsten Versen weiter zusammengefasst:

Perspektiven, Traditionen,
Zuversicht und Augenmaß,
Leidenschaften, die sich lohnen
Für unser Land
So machen wir das.

Die Eigenschaften, die „uns Niedersachsen“ angeblich auszeichnen, sind nicht nur Eigenschaften, sondern Leidenschaften. Eigenschaften hat man halt einfach, Leidenschaften hingegen werden bewusst verfolgt. Laut Liedaussage sind „wir“ also leidenschaftlich perspektivisch1, traditionell, zuversichtlich und voller Augenmaß. Der Bogen zum Beginn der Strophe wird mit „Für unser Land“ und „So machen wir das“ wieder geschlossen.

Die Schaffung einer positiv besetzten Gemeinschaft „Niedersachsen“ zieht sich durch das gesamte Lied. Die CDU ist stets Teil dieser Gemeinschaft. „So machen wir das // Hier bei uns in Niedersachsen“ und „sturmfest und erdverwachsen“ heißt es im Refrain. „Sturmfest und erdverwachsen“, der letzte Vers des Refrains, ist ein Verweis auf das Niedersachsenlied/Lied der Niedersachsen. Das Niedersachsenlied ist schönste Blut-und-Boden-Dichtung, entstanden um 1926. Die Parallelen zwischen dem Niedersachsenlied und dem Wahlkampfsong der CDU gehen aber über den direkten Bezug hinaus. In beiden Liedern werden ähnliche regionale Bezüge hergestellt: „Von der Weser bis zur Elbe, Von dem Harz bis an das Meer“ (Niedersachsenlied) – „Harz und Heide, schönes Land […] Vom Wesermund bis zum Nordseestrand“ (CDU-Lied) und in beiden Liedern ist von einem Stamm die Rede: „Heil Herzog Widukinds Stamm!“ (Niedersachsenlied) – „Unser Häuptling ist ein Schotte und wir sind ein starker Clan“ (CDU-Lied). Die 3. Strophe ist für den Aufbau des Liedes besonders interessant, denn hier wird die dritte Position eröffnet. In Strophe 1 (s.o.) werden Eigenschaften und Gemeinschaft beschrieben, was sich in Strophe 2 fortsetzt.2 In der dritten Strophe wird nun etwas in das Lied eingebracht, ohne dass eine Gemeinschaft nicht bestehen kann: Das, was außerhalb der Gemeinschaft steht. Für die CDU sind das die „linken Sprotten“. Im Video wird ein Fisch in eine „Vorwärts“ eingerollt, was „links“ recht genau auf den großen Gegner SPD bezieht. Die „linken Sprotten“ werden im Lied der Gemeinschaft der Niedersachsen entgegengestellt:

Bist du eine linke Sprotte,
legt dich niemals mit uns an.
Unser Häuptling ist ein Schotte
Und wir sind ein starker Clan.
Niedersachsen ist uns wichtig
Und auf eins ist stets Verlass:
Was wir tun, das tun wir richtig,
Für unser Land.
So, so machen wir das.

Hier bezieht sich das „wir“ stärker auf die CDU als noch in den vorherigen Strophen. Der schottische Häuptling ist David McAllister, der natürlich in erster Linie der „Häuptling“ des „CDU Clans“ ist. Durch den Aufbau des Liedes, die Parallelen zum Niedersachsenlied und durch McAllisters Funktion als Ministerpräsidenten und somit Regierungschefs von Niedersachsen, wird McAllister auch zum Häuptling des „Clans der Niedersachsen“. Die linken Sprotten gehören, laut Lied, also nicht zu Niedersachsen bzw. treten nicht „für unser Land“ ein. „Wir“ tun das, was wir tun, richtig, „die“ tun es nicht. „Wir“ sind ein „starker Clan“, „die“ sind schwach. Der politische Gegenspieler mutiert hier zum Gegenspieler Niedersachsens. Zudem sind Fische immer leicht negativ konnotiert.3

Die Bildsprache des Videos stützt den Inhalt des Liedes in der Regel. Ob ich Lust habe, das Video auch nochmal genauer anzugucken, weiß ich allerdings noch nicht genau.

 

  1. Sagt man das so? []
  2. „Kluge Kerle, schlaue Frauen, Windkraft, Autos, Energie […] unser Land so gut wie nie […]“ []
  3. Stinkt wie ein toter Fisch. []

Ungeschriebene Vorworte I

Das vorliegende Werk stellt einen viel rezipierten, aber wenig kritisch gewürdigten, neuen Ansatz dar. Ganz der Rezeptionsästhetik verpflichtet, besticht das Werk durch vielfältige Leerstellen, die erst durch den Rezipienten ihre individuelle Füllung erhalten. Auf den ersten Blick erscheint der erste Teil des Werkes, mittlerweile sind viele Fortsetzungen erschienen, leer und anspruchslos. Erst nach gründlicher Nutzung und Wahrnehmung durch den Rezipienten erschließen sich die wahren Möglichkeiten. Die Leerstellen, mögen sie noch so gleichförmig erscheinen, sind so geschickt gewählt, dass die Assoziationsmöglichkeiten so vielfältig sind – von A wie Aschenbecher bis Z wie Zarathustra -, dass bei jeder Zuwendung zum Werk neue Varianten zum Vorschein treten.

Es geht sogar so weit, dass man die einzelnen Werke auch mehrmals kaufen kann. Durch die Kombination verschiedener und sogar gleicher Teile der Serie, ergeben sich Deutungsmöglichkeiten, von denen selbst Kafka nur träumen konnte und bei denen die Lehre vom vierfachen Schriftsinn wie eine Lehre für Grundschüler anmutet.

In der neuesten, hier vorliegenden Auflage wurde auch das Bedürfnis nach Trans- und Intermedialen Bezügen und Möglichkeiten gestillt und durch die Variabilität des Werkes wird auch der Rezipient interaktiv herausgefordert: Cut-up ist in dieser Serie keine graue Theorie mehr, sondern kann in einfachen Schritten vollzogen und belebt werden. Jede semantische Bruchstelle wird durch den Serienrahmen in eine neue Form gegossen.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dem Werk.

Du bist so ostfriesisch und hast komische Vorlieben bei Facebook

Hachja…die Ostfriesen und ihre Weltsicht. Bei Facebook habe ich eben einen Kommentar zu einem der Programmpunkte vom Tag der Niedersachsen gelesen, der mich an eine Kampagne erinnert hat. Der FB-Kommentar war folgender:

Gay… Das mal Ober scheisse gewesen… Nie wieder..

Für alle, die besonderen Wert auf „richtiges Deutsch“ legen: Gay bedeutet „schwul“.1
Nun ist es ja nicht so, dass ich behaupten könnte, in meinem Leben auf Beleidigungen wie „Du bist schwul“ oder „Das ist ja so schwul“ verzichtet zu haben. Allerdings war ich da bedeutend jünger, als ich es jetzt bin.

Die Kampagne stammt jedenfalls von http://thinkb4youspeak.com/ und umfasste, soweit ich weiß, einen Spot mit Hillary Duff und einen mit Wanda Sykes:

Das mal so am Rande. Demnächst gibt es wahrscheinlich noch tiefere Einblicke in gewisse Denkweisen hier vor Ort und evtl. ein besonderes Wörterbuch „Richtiges Deutsch“. Dafür müsste ich mich aber erstmal dazu durchringen, dass ich mir Notizen mache.

  1. Es bedeutet eigtl. auch fröhlich, aber so wird es heutzutage wohl eher selten benutzt. []