Das Thema dieses Mal: Feedback und Reflexionen durch FachleiterInnen und ein paar Anmerkungen, die mich nach dem ersten Artikel erreicht haben.
Jemand schrieb bei Facebook:
Auch prima fürs ohnehin desolate Ego: „Was sie können muss ich ja jetzt nicht sagen. Kommen wir zu dem, was sie noch nicht können“, ja neeee, Lob braucht ja keiner.
Während ReferendarInnen ihren Schülerinnen und Schülern (SuS) gegenüber möglichst immer in irgendeiner Form konstruktiv und positiv verstärkend rückmelden müssen, scheint dieses Gebot bei den Fachleitenden nicht zu gelten. Ja, man bekommt durchaus mal positive Rückmeldungen, auch wenn diese sich öfters auf banalem Niveau bewegen. Negative Kritik zur „Leistungsverbesserung“ ist die Regel. In wie weit dieses Vorgehen pädagogisch wertvoll ist, sei einmal dahingestellt. Zur Besprechungs- und Feedbackpraxis drückte es ein Fachleiter gegenüber einer Mitreferendarin mal wie folgt aus:
Frau XY, natürlich haben Sie auch Sachen richtig gemacht. Aber die Zeit ist knapp, da wollen wir uns auf das konzentrieren, was noch nicht so gut funktioniert.
Dieser Erwiderung gab es nach einer Anfrage der Referendarin, ob sie denn auch was richtig gemacht hätte, da in der mehr als 45 Minuten dauernden Besprechung nichts, aber auch gar nichts positives gesagt wurde. Sicherlich ist es so, dass erwachsene bzw. ältere Menschen besser mit Kritik umgehen können, als SuS. Die Reflexionskultur der FachleiterInnen legt aber besonderen und ganz massiven Wert auf die Betonung des Schlechten. Es ist natürlich ein Einzelfall, dass wirklich gar nichts Gutes gesagt wird, dennoch hört man von ReferendarInnen sehr häufig Kommentare wie „rund machen“, „Holzhammer“, „kein gutes Haar“, „zerissen“ usw.
In den Besprechungen wird in der Regel die gesamte Person der angehenden Lehrkraft in den Blick und entsprechend häufig unter Beschuss genommen. Anmerkungen zur Lehrerpersönlichkeit, zur Methodik, zur Didaktik, zur Körpersprache, zur allgemeinen Unterrichtsführung, zur Kommunikation mit den SuS, zum eigenen Fachwissen, all das bekommen die jungen bzw. jüngeren Lehrkräfte in einer „normalen“ Besprechung zu hören. Wo genau die Schwerpunkte liegen, ist abhängig von allen Beteiligten, vom Verlauf des Unterrichts und davon, ob gerade Mittwoch ist. „Er/Sie wurde dann auch noch persönlich“, hört man nach Besprechungen häufiger, als es gut wäre. Aber bevor wir uns falsch verstehen: Vieles von dem, was auch vom „schlechtesten“ Fachleiter angemerkt wird, ist an sich für die eigene Entwicklung wichtig. Es ist nur häufig so, dass die schiere Masse an „Baustellen“ erschlagend und demotivierend ist und dass an sich konstruktive und wichtige Kritik auch verletzend vorgebracht werden kann und leider häufig wird. Erst kürzlich hörte ich von einer Bewertung bei einem Prüfungsunterricht, die mit „persönlich“, „verletzend“ und „Holzhammer“ beschrieben wurde.
Das Thema Prüfungsunterricht (PU) ist eigentlich einen gesonderten Beitrag wert, aber hier sei kurz auf ein prägnantes Erlebnis hingewiesen. Eine gute Freundin hatte während meines Referendariats ihren PU und ich war einer der Anwesenden. PUs sollen von ReferendarInnen besucht werden. Notizen darf man sich während der ganzen Zeit über nicht machen, man darf streng genommen dem Prüfling nicht einmal ein aufmunterndes Lächeln zuwerfen und vor allem darf man in der Auswertung nichts sagen. Man darf sich die Auswertung aber anhören. Während der Auswertung des ersten Unterrichts gab es vom „zuständigen“ Fachleiter keine großen Kritikpunkte, von den anderen ein paar einzelne. In der zweiten Unterrichtsbesprechung wurde gelobt, dass die Referendarin ein an sich sehr schwieriges Thema in einer dafür fast zu niedrigen Stufe probiert hat und dass sie dies auch gut gemacht hätte. Dann kam das reichlich ungeordnete und von fachwissenschaftlichen Phrasen durchsetzte „Aber“. Quintessenz der Kritik war eigentlich, dass sie das an sich schon schwierige Thema zu sehr heruntergebrochen habe und sie das Thema eigentlich viel komplizierter hätte bearbeiten müssen. Sie hat es also mutig und gut gemacht, aber nicht kompliziert genug. Nach dieser Besprechung waren Referendarin und stimmenlose Zuhörende entsprechend verwirrt. Vom Ablauf her war die Stunde tatsächlich runder als die davor, die Besprechung lief aber deutlich schlechter. Die Notengebung war am Ende diametral zum „Bersprechungseindruck. Die „gute“ erste Besprechung erhielt eine schlechtere Note als die zweite. Später – und das ist der kurze, wichtige Punkt, der einer solch langen Einleitung bedarf – plauderte mal jemand aus dem Nähkästchen, der die gängige Praxis der Notenvergabe beurteilen kann. „Notengeschachere“ war, glaube ich, das Wort. Häufig ginge es gar nicht so sehr um das tatsächlich Geleistete, sondern um die Selbstprofilierung der Ausbildenden. Die eigene pädagogische, didaktische, methodische und fachwissenschaftliche „Ahnung“ und Einstellung in den Vordergrund zu stellen und in der „kritischen“ Auseinandersetzung bloß nicht hinter den anderen Beteiligten zurückzustehen, das sei der wahre Kern der Notenbesprechung zwischen den Prüfenden. Überprüfen kann ich diese Aussage nicht, da ich ja nie bei einer „Notenverhandlung“ dabei war, es deckt sich aber mit den Eindrücken, die man während des Referendariats bekommt. Wenn man von der oft beklagten mangelnden Transparenz – Frau Ella wünscht sich da auch mehr – ausgeht, dann ist so ein „Geschachere“ auch nur die logische Konsequenz. Bereits im ersten Artikel sprach ich die mangelnde Transparenz an, die sehr schnell sehr frustrierend wird. Diese Art der „Benotung“ ist quasi das glorreiche Ende der Fahnenstange. Gott würfelt nicht, FachleiterInnen sollten es manchmal vielleicht tun. Und ja, es gibt sie: ReferendarInnen, die mit einer 1 vor dem Komma aus den Prüfungen marschieren und es gibt sie sogar bei den hier breit geschilderten, schwierigen Fachleitern.
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Nach dem ersten Artikel unterhielt ich mich mit einer Referendarin, die ihrem Fachleiter gestand, dass sie nahezu Angst vor seinen Besuchen hat. Seine lapidare Antwort war: „Gut so.“ Man fragt sich, was für ein Selbstverständnis jemand haben muss, dass er so an eine Ausbildung heran geht. Aber man hört und erlebt so einiges: Da wird aktiv in den Unterricht eingegriffen, weil der Referendar ein Arbeitsblatt mit Hintergrundmaterialien zu einem Text austeilt, der Fachleitende aber der Ansicht ist, dass alles „aus dem Text“ von den SuS erarbeitet werden muss; da müssen Referendare die Kompetenzen der APVO auswendig lernen und werden abgefragt; Fachleiter weigern sich, die Stunde zu besprechen, weil ja „Hopfen und Malz eh verloren“ sei usw. Natürlich gibt es auch wirklich bemühte FachleiterInnen, die ihre Aufgabe mit Einsatz und Hingabe bestreiten. Ein Lehrer schrieb in den Kommentaren zum ersten Artikel:
Einige Kolleginnen und Kollegen sind schon so weit, die Zusammenarbeit mit Fachseminaren komplett zu verweigern, sprich keine Referendare oder eben nur noch auf dienstliche Anweisung hin zu betreuen. […]
Meine guten Erfahrungen mit Fachleitern gibt es durchaus – aber dass sie die Regel sind, vermag ich nicht zu behaupten.
Auch an meiner Schule gab es Lehrkräfte, die sich strikt weigerten mit Fachleitern überhaupt in Berührung zu kommen.
Vielleicht noch ein anderer Aspekt, der bei den Rückmeldemethoden von FachleiterInnen interessant ist: Zumindest in Niedersachsen ist es so, dass bei den „normalen“ Lehrproben in der Regel andere ReferendarInnen anwesend sind und dass diese auch ihre Einschätzung der Stunde geben müssen. Dies ist, wie es ein Lehrer an einer Schule mal zu Beginn und zum Ende der Besprechung zum Besten gab, ein Interessens- und Loyalitätskonflikt. Gegen „gleichrangige“ Rückmeldungen sei nichts einzuwenden, dies aber in Anwesenheit der Ausbildenden einzufordern, sei für die Auszubildenden extrem schwierig. Der Rückmeldende will nämlich weder vor den AusbilderInnen noch vor den eigenen MitreferendarInnen schlecht dastehen. Die bewusste Manövrierung der ReferendarInnen in solch schwierige Situationen war an meinem Seminar vor allem bei einem Fachleiter an der Tagesordnung. Während der Seminare oder in Nachbesprechungen fielen Sätze wie: „Herr XY hat mir/uns gerade erst eine solche Stunde gezeigt, sowas wollen wir/will ich nicht nochmal sehen.“ oder „An dem Tag hat ABC eigentlich Prüfungsunterricht. Aber ich kenn‘ die, die wird garantiert krank.“ Losgelöst davon, wie „gut“ oder „schlecht“ die gezeigte Stunde oder wie „geeignet“ oder „ungeeignet“ jemand für den Beruf des Lehrers ist, solche Äußerungen ziemen sich nicht für Ausbildende, erst recht nicht gegenüber den Auszubildenden. Während das erste Beispiel einen direkten Loyalitätskonflikt darstellt, ist das zweite Beispiel perfider. Man steckt in einem Loyalitätskonflikt zur mitleidenden ABC und man fragt sich automatisch, wie der entsprechende Fachleiter über einen selbst in Abwesenheit spricht. Das erste Beispiel ist übrigens nicht als ein Spaß von „Gleichen unter Gleichen“ zu verstehen. Die klare hierarchische Abgrenzung zwischen Fachleiter und ReferendarInnen wurde bei diesem „Feedback“ nicht für einen „kollegialen Spaß“, zu dem auch Fachleiter fähig sind, ausgesetzt.
Gründe für die beschriebene, größtenteils abwertende Haltung gegenüber ReferendarInnen könnte es viele geben. Gottkomplex, besonderes Geltungsbedürfnis, mangelnde Selbstreflexion, ich weiß es nicht. Das können wohl nur die entsprechenden Personen selbst beantworten. Erschreckend ist in diesem Zusammenhang der Kommentar von „Der Lehrerfreund“ unter dem ersten Artikel:
Kurz: Auswahlkriterium ist oft das bürokratische Standing, nicht aber die pädagogisch-didaktische Fähigkeit (Fachleiter/in) oder organisatorische/verwalterische Kompetenzen (Schulleitung). Das führt zwangsläufig dazu, dass einige (viele?) der Posten von großen Pfeifen besetzt werden – die man wegen ihres Beamtenstatus auch nie wieder loswird.
Es ist eine Katastrophe, dass viele, oft fähige Leute unter dieser idiotischen Struktur leiden und einen empfindlichen Stich ins Selbstbewusstsein hinnehmen müssen (“Du bist nicht fähig, mit Jugendlichen umzugehen.”).
Bedenkt man den schlechten Stand, den Fachleiter in der Regel bei den anderen Lehrkräften zu haben schein, könnte an dieser Überlegung durchaus etwas dran sein.
Weniger erschreckend, aber trotzdem eine genauere Betrachtung wert, ist der Kommentar von Marcus Manow unter dem ersten Artikel:
Jetzt gilt es, selbst in der Aufgabe, Referendare zu “betreuen”, nicht die erlebten Fehler zu wiederholen. Problem dabei könnte sein (ist es so?): Wenn das alles stimmt, was Du und ich hier schreiben – wird sich kein Referendar trauen, mir zu sagen, dass mein Verhalten ihn verletzt. So setzt sich das dann fort…
Ich verstehe den Kommentar so, dass er jetzt in der Rolle als „Ausbildungslehrer“ ReferendaInnen betreut und nicht als Fachleiter. Ich deutete das Machtgefälle ja schon an und es könnte tatsächlich ein Problem sein, wenn ausgebildete Fachkräfte bewusst oder unbewusst das „Schlechte“ weitergeben, die neue Generation nichts dagegen tut und sich so die Spirale weiter fortsetzt. Dementgegen steht die, teilweise auch in den Kommentaren geäußerte Vermutung, dass FachleiterInnen gerade die Personen sind bzw. werden, die man lieber von den SuS fernhalten will. Im Kollegium meiner alten Schule wurden ähnliche Vermutungen geäußert, was wieder den Kreis zum Ansehen der FachleiterInnen bei „regulären“ Lehrkräften schließt. Pauschalisieren kann und darf man hier nicht, aber irgendwo muss diese Einstellung ja herkommen.
Zur Ehrenrettung der engagierten FachleiterInnen kann man nicht oft genug betonen, dass es sie tatsächlich gibt. Einer meiner Fachleiter hatte, obgleich wirklich hohe Ansprüche, eine gute Art Stunden zu besprechen: dialogisch und konstruktiv Alternativen aufzeigend. Während viele, nicht nur ich, aus so einigen Besprechungen bei ihren FachleiterInnen rausgegangen sind, ohne schlauer in Bezug auf Alternativen zu sein, gab und gibt es einige Ausbildende, die einem tatsächlich das Gefühl vermitteln, dass man in der Besprechung etwas gelernt hat. „Die Stunde war Mist, aber die Besprechung war gut“, ist eine mögliche Beschreibung solcher Besprechungen. Bei der zuvor genannten Spezies von Ausbildenden würde der Satz eher lauten: „Die Stunde war Mist und ich wurde total zerrissen.“ Dieser qualitiative Unterschied in der eigenen Wahrnehmung der Besprechung zeigt, wie es „gut“ und wie es „schlecht“ geht.
Manch einer mag sich vielleicht mittlerweile denken: Wenn das alles so schlimm ist, warum tun die ReferendarInnen nichts dagegen? Diese Frage ist durchaus berechtigt, die Antwort liegt meines Erachtens selbst begründet: Die Interessenvertretung vor Ort besteht in Niedersachsen aus dem Personalrat des Seminars. Dieser Personalrat besteht aus ReferendarInnen, die sich aktuell in Ausbildung befinden. Man kann Menschen vieles nachsagen, aber es bedarf schon eines besonders enthusiastischen Vertreters unserer Spezies, der die Hand beißen will, von der er abhängig ist. Abgesehen von der zusätzlichen Arbeit, die durch die Interessenvertretung entsteht, verlässt man als Personalrat nicht die Machtstrukturen. An Schulen ist das ähnlich, aber durch die meist schon erfolgte Verbeamtung nicht ganz so gravierend. Die übergeordneten Interessensvertretungen (GEW und Philologenverband) haben in jüngster Zeit auch keine dezidiert auf das Referendariat abzielenden Pressemitteilungen veröffentlich. Es sei denn, ich habe was übersehen. Über diesen Punkt habe ich, so muss ich gestehen, vorher gar nicht nachgedacht. Eigentlich ist es merkwürdig, dass die Gewerkschaften/Interessensverbände nicht viel massiver, deutlicher und medienwirksamer auf die Zustände im Referendariat und die ständig zum Thema erscheinenden Artikel berichten.
Man merkt vielleicht, dass mir beim Schreiben immer neue Dinge wieder einfallen, teilweise sind dies Dinge, die mir erst im Nachhinein wirklich bewusst werden. Ich habe auch bisher wenig zur tatsächlichen Arbeitsbelastung von ReferendarInnen geschrieben, zum Schulalltag, zu den tatsächlichen Ausmaßen des „Praxisschocks“. Die zahlreichen Artikel, die es zum Referendariat gibt, habe ich auch noch nicht systematisch ausgewertet und mit meinen Erfahrungen verglichen. Auch zu meiner eigenen Wahrnehmung als Lehrer noch nichts. Aber auch die positiven Sachen sollen und werden irgendwann erwähnt werden. Ich mach es nur wie einige FachleiterInnen. Ich zeige erstmal auf, was schlecht war.
Zu allen Artikeln der Reihe