Am 3. und 4. Oktober 2012 war es so weit: Die angekündigte Verfilmung des Romans „Der Turm“ von Uwe Tellkamp wurde gesendet. Was der Feuilleton und viele Zuschauer größtenteils loben und den Autor der Romanvorlage sogar zu Tränen gerührt hat, hat mich und auch den Flint, bis auf wenige Ausnahmen, doch ziemlich enttäuscht.
Kommen wir zuerst mal zu dem, was ich positiv anzumerken habe. Die Besetzung für den Film wurde sehr gut, und größtenteils zu den Rollen passend, besetzt. Sebastian Urzendowsky überzeugt als Christian Hoffmann und haucht dem unsicheren, in sich zurückgezogenen, hin- und hergerissenen Schüler und späteren NVA-Soldaten souverän Leben ein. Auch Claudia Michelsen, die Christians Mutter Anne spielt, liefert eine hervorragende Darstellung des eigentlich zentralen Punktes der Familie Hoffmann.1 Die leichte Veränderung der Figur durch den Drehbuchautor tut ihr gut, in diesem Punkt stimme ich mit verschiedenen Besprechungen des Films überein. Auch die eine oder andere Szene hat mich zum Schmunzeln gebracht oder mir einen dicken Kloß im Hals beschert, diese lassen sich allerdings an einer Hand abzählen.2
Was mich bei der Figurenumsetzung dagegen massiv stört, sind die Darstellungen Meno Rhodes und Judith Schevolas, dies allerdings nicht aufgrund von schlechten Schauspielerleistungen. Meno, der eigentlich eine Art Erzähler im Roman darstellt, indem Tagebuchseiten von ihm immer mal wieder die Handlung erzählen, wird zum opportunen Duckmäuser heruntergebrochen, der sich in die Autorin Schevola verguckt. Dabei geht der Film zum Ende hin soweit, ihn fast zum Stalker zu machen. Der Meno Rhode im Roman ist zugegebenermaßen eine Lieblingsfigur – sowohl von mir, als auch von Flint – aber diesen Status hat diese Figur auch verdient. Er ist integer, loyal, weiß wo er steht und was er will. Auch im Buch ist er eine zweite Vaterfigur für Christian, bleibt aber nicht einfach nur der „Kumpel-Onkel“, sondern unterrichtet Christian gelegentlich fast härter als seine Lehrer, was im Film ebenfalls komplett verloren geht. Außerdem ist er studierter Biologe, nicht Geologe, wie der Film vermuten lässt.
Judith Schevola nimmt, wie auch im Film, kein Blatt vor den Mund. Sie bleibt selbstbewusst, auch nachdem sie aus dem Verband der Geistestätigen geworfen wird. Trotz der harschen Kritik an ihrem Manuskript, erfährt sie doch viel Zuspruch von fast allen Literaten aus der Schrifstellervereinigung und sogar von Barsano selbst3.
Die Armeezeit, wie im Film dargestellt, weckt Assoziationen zu Filmen wie „Full Metal Jacket“. Jan Burre ist auch im Roman derjenige, der von allen anderen, außer Christian, regelmäßig schikaniert wird. Jedoch ist er nicht nur unbeholfen, sondern scheint auch psychische Probleme zu haben, die ihn – im Gegensatz zum Film – im Buch das Leben kosten. Burre einfach nur auf den fetten Nichtskönner zu reduzieren, der aufgrund seines Gewichtes an einem Herzinfarkt stirbt, ist aber wahrscheinlich die einfachste Lösung, wenn man die Schauspieler nicht in einem Panzer drehen lassen möchte.
Kommen wir nun zu den Problemen, die ich bei der Gesamtumsetzung sehe: Das Bildungsbürgertum, das die „Türmer“4 repräsentieren, geht vollkommen verloren. Die Menschen, die das Viertel „Turm“ im Roman bevölkern, ziehen sich nicht nur einfach in ihre Wohnungen zurück. Nein, sie flüchten sich in eine vergangene Zeit, noch vor dem Zweiten Weltkrieg – das Alte Dresden. Sie flüchten mit Hilfe von alten Schallplatten mit Aufnahmen aus der Semperoper5, sie verehren Fritz Löfflers Bildband „Das Alte Dresden“, als wäre es die Bibel und sie entsorgen die gesammelten Tageszeitungen einmal wöchentlich in einem eigenen Ritual in den Mülleimer vor dem Haus. Diese irgendwie kautzige Wirkung hat im Film allenfalls noch Christian, wenn er Cello spielend oder lesend in der Schule gezeigt wird und erzählt, was er denn da liest. Der Wert solcher Dinge, wie Hausmusik, geht völlig verloren. Diese fehlende Betonung der Subkultur, in der die Familie Hoffmann lebt, finde ich äußerst problematisch, da sie so von den Zuschauern des Films als „normale“ DDR-Bürger gesehen und die zum Teil ganz eigenen Probleme und Lösungsversuche6 vollkommen unsichtbar werden. Zuschauern des Filmes, die das Buch nicht gelesen haben, wird so ein falsches Bild vermittelt.
Zusätzlich wird der Untergang des Staates nur zur Kulisse des Untergangs der Familie, die allerdings keine Auswirkungen des Zerfalls des Staates zu spüren bekommt, bis 1989 ist und die Wahlen anstehen. Auf einmal geht man zu Lesungen in die Kirche und redet von Wahlbetrug. Vorher werden selten Mangelwirtschaft und krankendes System zum Thema. Nur innerhalb des Krankenhauses wird zum Beispiel auf fehlendes Verbandsmaterial und bröckelnde, schimmlige Wände hingewiesen und sich darüber beschwert. Da verwundert es auch nicht weiter, wenn die Assoziation zu Thomas Manns Buddenbrooks für manche Rezensenten extrem nahe liegt.
Zuletzt ein Thema, dass mir persönlich am Herzen liegt: Die Musik. Im Buch hat Musik einen besonderen Stellenwert: es wird musiziert und gesungen, Musik wird gehört und verglichen, geträumt und gefeiert – ihr wird sogar ein eigenes Zimmer in der Wohnung gewidmet. Spielt Musik in Christians Umfeld oder in der Öffentlichkeit, dann hört man Klischee-Ost-Bands wie Silly oder City, was auch im Buch gelegentlich der Fall und für einen Film, der sich mit der DDR befasst, durchaus gerechtfertigt ist. Untermalt die Musik Szenen im Film, finde ich (als begeisterte Turm-Leserin) es äußerst schade, dass nicht ein einziges Mal auf die Wagner-Vorliebe der Türmer aus dem Roman eingegangen wurde. Stattdessen wird die durchaus amüsante Szene mit der Kokosnuss mit Mozarts Requiem unterlegt. Was will der Regisseur dem Zuschauer damit sagen?7 Die Frage kann wahrscheinlich nur er beantworten. Auch bei der Hochzeit von Ina Rhode und Dr. Wernstein hätte es eine Gelegenheit gegeben, Wagner einzubauen, aber Walzer aus Tschaikowskis Nussknacker sind halt einfach die passenderen für eine Hochzeit im Sommer.
Als Fazit lässt sich also ziehen, dass die Verfilmung des Turms, bis auf einige Lichtblicke, enttäuscht. Natürlich ist der Roman im Ganzen nicht zu verfilmen, dafür ist er ein zu mächtiges Werk. Dieses aber so weit zusammenzukürzen, dass von einem soliden Turm nur noch eine Wendeltreppe übrig bleibt, die nicht fest in der Wand verankert ist, macht es vielleicht darstellbarer, aber nicht nachvollziehbarer.8 Darüber trösten auch die besten Sendezahlen nicht hinweg.
- Ohne Anne als Frau, Schwester und Mutter gäbe es die Konstellation Richard, Meno, Christian nicht. [↩]
- Der Weihnachtsbaumklau, das Amüsement über den verkrüppelten Baum in der Kirche im ersten Teil, sowie der kurze Auftritt von Chakamankabudibaba, Menos Kater, im zweiten Teil und die Szene am Bahnhof. Das war es dann auch schon. [↩]
- wenn ich das noch richtig im Kopf habe [↩]
- die übrigens mehr Personen, als nur Familie Hoffmann und Richards Kollegen umfassen [↩]
- besonders Wagners Tannhäuser in verschiedensten Aufnahmen [↩]
- Christian und seine Geschwister bekommen zum Beispiel Unterricht im Lügen von einem Schauspieler [↩]
- Dass er kein Gefühl für Zusammenhänge hat? Dass er das Requiem mag und es irgendwie einbauen wollte, egal wo? Wollte er auf diese Weise die Marter der Kokosnuss verdeutlichen, die sich erfolgreich gegen jeden Knack-Versuch wehrt? [↩]
- Wer das Buch nicht gelesen hat, kann grade im ersten Teil aufgrund der Schnitte schnell den Faden verlieren [↩]