Archiv der Kategorie: Truth! Freedom! Justice! And a hard-boiled egg!

Feine Sahne Fischfilet

Ich habe etwas getan, was in der, etwas euphemistisch ausgedrückt, bürgerlich-konservativen Bubble nicht sonderlich gut ankommt: Ich habe Feine Sahne Fischfilet interviewt. Zumindest den Bassisten. In der Zeitung.

Die Probleme an diesem Interview werden in den Kommentarspalten deutlich. Kurz gesagt: Wie kann ich es wagen, eine vom Verfassungsschutz beobachtete Band zu interviewen? Einwürfe, dass die Band nicht vom Bundesamt, sondern von Landesämtern beobachtet wird bzw. beobachtet wurde, bringen (natürlich) nichts.

Aber egal. Was auffällt: Es werden immer wieder drei Lieder angeführt, die den Linksradikalismus bzw. -extremismus der Band aufzeigen sollen. „Wut“, „Staatsgewalt“ und „Gefällt mir“. Wobei es übertrieben ist, zu sagen, dass die gesamten Lieder als Beispiel aufgeführt werden. Es werden immer nur einzelne Textpassagen genannt, fast unisono, auch über mehrere Nutzer hinweg.

Staatsgewalt

Besonders beliebt ist das auf dem Debut-Album „Backstage mit Freunden“ erschienene „Staatsgewalt“ (2009). Ein Album, das vergriffen ist und von dem sich Feine Sahne mittlerweile mehrfach distanziert haben. Die Zeit hat zu „Staatsgewalt“ im vergangenen Jahr zum Beispiel Folgendes geschrieben:

„Die [der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern] spinnen doch“, sagt Jan Gorkow, der Sänger von FSF, den alle nur Monchi nennen, wenn man ihn darauf [auf den Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern] anspricht. Den Song Staatsgewalt spiele man schon lange nicht mehr: „Er ist uns schlicht zu platt.“ Der Vorwurf, das Lied rufe zu Gewalt auf? Ein „alter Schlapphut“.

Die Zeit, „Aber bitte mit Sahne

Von Gegnern der Band wird vor allem „Die Bullenhelme, die sollen fliegen / Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein.“ als Beispiel für die (allerdings nicht mehr gesungene) Staatsfeindlichkeit angeführt. Mancher geht noch einen Schritt weiter und zitiert noch die umliegenden Zeilen des eben genannten Ausschnittes:

Wir stellen unseren eigenen Trupp zusammen
Und schicken den Mob dann auf euch rauf
Die Bullenhelme – sie sollen fliegen
Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein
Und danach schicken wir euch nach Bayern
denn die Ostsee soll frei von Bullen sein

Feine Sahne Fischfilet, „Staatsgewalt“ (2009)

Natürlich sind das Gewaltfantasien gegen Polizisten. Aber, und das ist ein Punkt, der immer vernachlässigt wird, es ist eine Fantasie, die in einem Kontext steht. Denn, und darum geht es in Staatsgewalt in fünf von acht Strophen: Das lyrische Ich sitzt vor Gericht. Und wurde zuvor von Polizisten im Einsatz zusammengeschlagen.

Der Anfang des Liedes setzt den Kontext:

Blutiges Gesicht,
Aufstehn kann ich nicht.
Ich kann mich nicht bewegen.
Dafür komm ich vors Gericht. 

Sie haben mich getreten.
Sie haben mich geschlagen.
Ich hab mich nur gewehrt
Und dafür woll’n sie mich verklagen!

Feine Sahne Fischfilet, „Staatsgewalt“ (2009)

Das lyrische Ich prangert hier eine bestimmte Form der Staatsgewalt an: Polizisten, die auf Menschen einprügeln. Mit Blick auf die Band: auf linke Menschen einprügeln. Ein Feindbild, das wohl schon so lange existiert wie der Punk: Links gegen Polizei. Aber auch ein Feindbild, welches oft genug eine Entsprechung in der Realität findet. Übertriebene Polizeigewalt wird von linken Gruppierungen immer wieder angeprangert.

Aber zurück zum Lied und zum Kontext, der oft genug vergessen wird. Im weiteren Verlauf des gerade einmal zwei Minuten und 22 Sekunden langen Liedes, wird weiter das Verprügelt-werden durch Polizisten beschrieben. Bis der Protagonist des Liedes seine Konsequenzen zieht. Vor dem zuvor zitierten Abschnitt mit dem eigenen Trupp heißt es:

Denn was ihr könnt,
Das können wir schon lange,
Und wir geben erst recht jetzt noch nicht auf.

Feine Sahne Fischfilet, „Staatsgewalt“ (2009)

Der Aufruf zur Gewalt entspringt also dem Kontext einer Rachefantasie. Sie hat im Lied einen ganz bestimmten Ursprung und richtet sich nicht gegen die Polizei im Allgemeinen, sondern gegen die als Feinde wahrgenommenen Beamten, für die in linken Kreisen auch ganz gerne der Begriff „Knüppelgarde“ benutzt wird.

Macht es das Lied besser? Das muss jeder für sich entscheiden. Ein allgemeiner Aufruf zur Gewalt gegen alle Polizisten ist es aber nicht. Die Band distanziert sich, auch wegen Texten mit sexistischem Inhalt, mittlerweile von dem Album „Backstage mit Freunden“. Dem Spiegel sagte Frontmann Jan „Monchi“ Gorkow dazu:

Auf ihrem ersten Album gibt es Lieder mit sexistischen Textpassagen, für die sie sich inzwischen schämen. Die einzige Entschuldigung, die Monchi gelten lässt. „Wir waren 18, 19 Jahre alt. Wäre dieses Album nicht ausverkauft, würden wir es nicht mehr vertreiben.“

Spiegel Online, „Die Staatsfeinde

Gefällt mir

Drei Jahre weiter. 2012 erschien das Feine Sahne Fischfilet Album „Scheitern & Verstehen“. Darauf findet sich das Lied „Gefällt mir“. Hier zitieren Kritiker der Band vor allem die Zeilen „Deutschland ist scheiße, Deutschland ist Dreck! Gib mir ein „like“ gegen Deutschland“.

Auch das ist ziemlich aus dem Kontext gerissen, denn es geht auch hier um ein ganz spezielles Deutschland.

Leere, hohle Phrase. Schwarz, rot, gold im Gesicht
Ob jetzt rechts oder links – man nun nerv‘ doch nicht!
Wir wollen doch nur feiern und die Party zelebrieren
Besoffen abhitlern, das kann ja mal passieren

Feine Sahne Fischfilet, „Gefällt mir“ (2012)

Sechs Jahre nach der „WM im eigenen Land“, zwei Jahre nach dem 3. Platz der Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Südafrika und im Jahr der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, wählt Feine Sahne wohl nicht umsonst diesen Einstieg. Schminke in den Farben der Nationalflagge der BRD gehört zu den festen Bestandteilen der Fußballkultur spätestens seit 2006. Von den einen als Party-Patriotismus kritisiert, von den anderen als neuer, guter Nationalstolz gefeiert, ist die Bezugnahme zu eben diesem „Deutschsein“ unverkennbar.

Aber auch die Bigotterie, die durch Sätze wie „Ich bin ja kein Nazi, aber…“ oder „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ verkörpert wird, wird in der zweiten Strophe aufgenommen.

Ihr habt nichts gegen Schwarze und ihr habt nichts gegen Schwule
Ja da seid ihr euch gewiss, denn das lernt ihr in der Schule
Ihr seid ach so tolerant, ihr seid achso reflektiert
Und wenn Ronny nicht schuftet, hofft ihr, dass er krepiert

Feine Sahne Fischfilet, „Gefällt mir“ (2012)

Feine Sahne Fischfilet zeichnen hier das Bild eines immer wieder von Links kritisierten Deutschlands. Das ist wenig überraschend und wird wohl auch deswegen quasi nie zitiert.

Darauf folgt ein Einschub im Lied, welches eher zitierfähig ist, aber auf den meisten Lyrics-Seiten im Netz nicht auftaucht – und die meisten Kritiker der Band haben ihre Aufreger-Zeilen eben von diesen Seiten.

Ponyhof statt Deutschland, das wär ne Idee
Deutschland gib dein Handy, wir lieben das Klischee
Punk heißt gegen’s Vaterland, das ist doch allen klar
Deutschland verrecke, das wäre wunderbar!

Feine Sahne Fischfilet, „Gefällt mir“ (2009)

Zentraler Satz ist hier „Wir lieben das Klischee“. Und „Deutschland verrecke“ ist seit Slime wohl eines der bekanntesten Punk-Zitate nach „Hey, ho, let’s go“.

Exkurs: „Deutschland verrecke“

Selbst wer Slime nicht kennt, hat schon von „Deutschland muss sterben“ gehört. Der Liedtitel ist zusammen mit einem in Hamburg stehendns Kriegerdenkmal aus der NS-Zeit zu sehen, auf dem steht: „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen“.

Dazu ein Auszug aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes:

Um den Aussagekern des Liedes „Deutschland muss sterben“ in einer der Kunstfreiheit angemessenen Weise zu erkennen, darf auch ein zeitgeschichtlicher Bezug nicht ausgeblendet werden, auf den der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren hingewiesen hatte. In Hamburg, wo das Lied entstand, gibt es ein 1936 eingeweihtes Denkmal für das Hanseatische Infanterieregiment Nr. 76, welches die Inschrift trägt „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen“. Diese Zeilen gehen auf ein Gedicht von Heinrich Lersch mit dem Titel „Soldatenabschied“ zurück, welches kurz nach Ausbruch des 1. Weltkrieges entstand. Anfang der 80-er Jahre hatte eine breite öffentliche, zum Teil emotionale Auseinandersetzung mit dem „76-er Denkmal“ und einem in unmittelbarer Nähe aufgestellten „Gegendenkmal“ von Alfred Hrdlicka eingesetzt. Die Hamburger Punkrock-Gruppe Slime hatte damals diese Thematik in ihrem Lied aufgegriffen und die provozierende Antithese „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ dem in Zeiten des Nationalsozialismus zu Denkmalehren gekommenen Spruch „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen“ entgegengesetzt.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Gefällt mir (Fortsetzung)

Feine Sahne Fischfilet nehmen hier, quasi augenzwinkernd, Bezug auf das, was in Bezug auf Punk „allen klar“ ist. Ein wichtiger Teil des Liedes. Denn kurz darauf folgt die oft zitierte Stelle.

Heute wird geteilt was das Zeug hält
Deutschland ist scheiße, Deutschland ist Dreck!
Gib mir ein „like“ gegen Deutschland
Deutschland ist scheiße, Deutschland ist Dreck!
Günter ist scheiße, Günter ist Dreck!

Feine Sahne Fischfilet, „Gefällt mir“ (2009)

„Deutschland ist scheiße, Deutschland ist Dreck“ ist hier im Zusammenhang mit dem vorherigen Absatz zu sehen. Es ist allen klar, worum es im Punk geht, und genau dieses Klischee(?) erfüllen Feine Sahne hier. Günter (oder Günther) bezieht sich dabei wahrscheinlich auf Günter Grass und sein Israel-kritisches Gedicht „Was gesagt werden muss“, welches ebenfalls 2012 erschien. (Oder Günther ist einfach nur eine Anspielung auf den typischen Deutschen, der Linken ein Dorn im Auge ist. Heute würde man dazu Kartoffel sagen.)

Wut

Wieder drei Jahre weiter. Auf dem Album „Bleiben oder Gehen“ von 2015 erschien „Wut“. Das Lied wird im Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen zum Jahr 2018 erwähnt. Der Kehrreim „Und der Hass – der steigt! Und unsere Wut – sie treibt!“ könne in Verbindung mit der Zeile „Die nächste Bullenwache ist nur einen Steinwurf entfernt“ als Aufforderung zu Gewalttaten interpretiert werden.

Hier wird munterer drauf los zitiert, wenn es um den Beleg für die Gefährlichkeit der Band geht, auch wenn meist der Teil aus dem Verfassungsschutzbericht herhalten muss.

An sich ist das Lied aber ähnlich wie „Staatsgewalt“ zu sehen, auch wenn die Prämisse eine andere ist.

Leere Gesichter, viele Fragen
Niemand der ihnen Antwort gibt
Was können sie hier noch wagen
Heute Nacht – schlagen sie zurück!

Helme warten auf Kommando
Knüppel schlagen Köpfe ein
Wasser peitscht sie durch die Straßen
Niemand muss Bulle sein!

Feine Sahne Fischfilet, „Wut“ (2015)

Die Knüppel, die hier Köpfe einschlagen, gehören nicht zum Lyrischen Ich, geschweige denn zu „den Linken“ oder zur Band. Sie gehören zur Polizei. Die Beamten (um die es hier geht, siehe Teil zu „Staatsgewalt“) werden so dargestellt, als würden sie nur auf das Kommando zum Knüppeln warten.

Dieser Teil der Polizei wird im Lied erneut als Gegenpart zum Lyrischen ich aufgebaut.

Verweis mich aus der Stadt
Ich scheiß drauf was du sagst
Wer kein Rückgrat hat, der wird vereidigt auf den Staat.
Lieber Hartz 4 beziehn, im Bett bis um 4 liegen,
Bier trinken, Weed dealen, Speed ziehn,
Als Geld im Staatsdienst verdien

Feine Sahne Fischfilet, „Wut“ (2015)

Es geht im Lied so weiter. Martinshörner zu hören, nervt den Protagonisten des Liedes, der „nicht frei von Sünde“ ist, aber dennoch vor tritt „zum Werfen“.

Mit “ Polizist sein heißt das Menschen mit Meinungen Feinde sind // Ihr verprügelt gerade wieder Kinder als wären’s eure Eigenen“ verlassen die Musiker den bislang eher gegen „Knüppelgarde“ oder „Bullen gerichteten Vorwurf erstmals. Sie pauschalisieren. Hier sind wirklich alle Polizisten gemeint, auch wenn aufgrund des weiteren Textverlaufs wieder die Einschränkungen sehen kann. Mit der Wortwahl macht Feine Sahne Fischfilet aber den „Generalverdacht“, dass für alle Polizisten Menschen mit Meinungen Feinde sind (und alle Polizisten ihre Kinder verprügeln) plausibler.

In den nächsten Zeilen wird betont, dass man lieber eine „Line Zement“ in die Nase ziehen würde „als down zu sein mit Rainer Wendt“. Wendt ist seit 2007 Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) – und steht regelmäßig für seine Äußerungen in der Kritik. So sprach Wendt unter anderem schon davon, dass „polizeiliche Einsatzmittel“ Waffen sein müssen, „die weh tun“, weil sie nur dann wirken würden. Er forderte auch schon den Einsatz von Gummigeschossen gegen (linke) Demonstranten; er ist Befürworter von Racial Profiling und er hat als „Schutz“ gegen Flüchtlinge auch schon Grenzzäune gefordert. (Alles, siehe Wikipedia)

Die Erwähnung von Wendt zeigt im Lied weiter, welche Art von Polizei (erneut) von Feine Sahne Fischfilet gemeint ist. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass in der kritisierten Zeile „Die nächste Bullenwache ist nur einen Steinwurf entfernt“ wieder nicht von Polizei, sondern von „Bullen“ die Rede ist.

Fazit

Wie nahezu jedes Stück Liedgut, welches sich politisch positioniert, können auch die Lieder von Feine Sahne Fischfilet kritisiert werden. Dann aber doch bitte in einer Betrachtung der Gesamtzusammenhänge, in denen die einzelnen Lieder stehen. Oder doch zumindest im Zusammenhang des gesamten Liedtextes und nicht, wie vielerorts von Gegnern der Band gebetsmühlenartig wiederholt, aus dem Zusammenhang gerissen.

Wir müssen über Sprache reden

Liebe Kolleginnen und Kollegen der schreibenden Zunft,
Liebe Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Medienhäusern.
wir müssen reden.

Das haben wir in den vergangenen Tagen schon, nachdem der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass der generische Maskulinum auf Bankformularen in Ordnung ist. Aber um diese Entscheidung soll es gar nicht gehen. Es geht um eure Reaktionen und die einiger meiner Bekannten, die mir eiskalte Schauer den Rücken herunterjagen. Denn, ganz ehrlich, wenn ich noch einmal so etwas aus JournalistInnenmunde höre wie „Sprache muss schön bleiben“, dann fange ich an zu schreien.

Wir müssen über Sprache reden weiterlesen

Gegen Diskriminierung, aber nicht auf Kosten der Sprache!

Es passiert immer wieder, dass irgendein Artikel aus irgendeinem eher konservativen Blatt in meiner Timeline auftaucht, in dem sich wieder irgendjemand über „Gender Mainstreaming“ oder verwandte Themen aufregt. Ich schrieb ja auch schon etwas darüber.

Jüngst tauchte der „Genderwahn“ auf. Der Studiblog hatte sich, basierend auf einem Artikel der Welt, dem Thema angenommen. Könne ja nicht sein sowas! So bzw. ähnlich wurde der „Genderwahn“ von Nutzern bei Facebook kommentiert. Was mal wieder zeigt, dass der Deutsche1 beim Thema „Gender“ seinen Verstand ausschaltet. Eine Analyse des Artikels beim Studiblog, bei Welt und was das Ganze mit Journalismus zu tun hat.2

Gegen Diskriminierung, aber nicht auf Kosten der Sprache! weiterlesen

  1. Manchmal auch die Deutsche. []
  2. Spoiler: Gar nichts. []

Das große Abschaffen

Seit Sarrazin schafft sich irgendwas oder irgendwer in Deutschland permanent ab. Seit Sarrazin ist „XY schafft sich ab“ aber auch immer mit einem faden Beigeschmack behaftet: Schon „schafft sich ab“ weckt fast unweigerlich Assoziationen mit „armen Deutschen“ und irgendwie „bösen Ausländern“.

Ein besonders schönes Beispiel für gewollte oder ungewollte negative Assoziationen ist der Artikel „Massenverblödung: Das gebildete Deutschland schafft sich ab“ von Reinhard Mohr erschienen auf welt.de.

Das große Abschaffen weiterlesen

Pressemitteilungen lesen

Es ist erstaunlich, wie wenig wir Nachrichten verstehen, die man uns übermittelt. Ein praktisches Beispiel, Schritt für Schritt.

Bei Angriffen aus einer Gruppe von etwa 60 Personen heraus wurden gestern Nachmittag sechs Polizisten verletzt.

Tatsächliche Information: 6 Polizisten wurden verletzt, weil sie angegriffen wurden. Das geschah gestern [am 5. Juli 2014] Nachmittag.
Füllmaterial: Die Gruppe aus 60 Personen. Die Angriffe geschahen „aus einer Gruppe“ heraus, was so viel bedeutet wie: Es könnte einer angegriffen haben und etwa 59 Personen standen da einfach rum und haben geguckt. Die Zahl möglicher Angreifer geht wahrscheinlich so bis 9, weil ab da klingt „wurde von 10/15/20 Personen angegriffen“ wahrscheinlich besser.

Gegen 17.45 Uhr alarmierten Zeugen die Polizei zum Görlitzer Park, da zu diesem Zeitpunkt etwa 20 Personen in eine Schlägerei verwickelt waren.

Tatsächliche Information: Die Polizei waren aus einem bestimmten Grund da und hat eine komische Definition von „Nachmittag“.
Füllmaterial: Die Schlägerei von etwa 20 Personen. Tut für den weiteren Hergang gar nichts zur Sache.1 Aber erst 60 und dann 20, das klingt gefährlich.

Im Park eingetroffen, sahen die Beamten einen 25-jährigen verletzten Mann, der am Ohr stark blutete. 

Tatsächliche Information: Bei der Schlägerei2 Im Park gab es einen Verletzten. Warum wäre reine Spekulation, da hat der madcynic Recht.
Füllmaterial: keins.

Bei der nun folgenden Sachverhaltsklärung mischten sich zunächst mehrere Personen, die kurz zuvor an einer Demonstration von Neukölln nach Kreuzberg teilgenommen hatten, lautstark in die Ermittlungen der Beamten ein.

Tatsächliche Information: Die Polizei stellt Fragen und mehrere Personen – so ab drei oder vier wahrscheinlich – mischten sich lautstark in die Ermittlungen ein. Die Einmischer hatten nichts mit der Schlägerei zu tun. Nach der Einmischung passierte noch etwas.
Füllmaterial: Die Demonstration von Neukölln nach Kreuzberg. Angesichts der letzten Tage klingt das wie der polizeiliche Euphemismus für „Linke“, was aber gar nichts zur Sache tut. Darüber hinaus: Erfragen, woher die Einmischer kamen, das konnte man. Aufschreiben, warum die sich eingemischt haben aber nicht.

Darüber hinaus stellte sich ein 22-jähriger Mann den Beamten in den Weg und störte sie bei der Sachverhaltsaufklärung.

Tatsächliche Information: Es waren mehrere Personen +1. Der 22-jährige stand außerdem im Weg und störte zwar nicht lautstark aber auf trotzdem nicht näher definierte Weise. Außerdem störte er offensichtlich mehr als die anderen.
Füllmaterial: keins.

Nachdem die Polizisten ihn vergeblich des Platzes verwiesen hatten und die Behinderungen anhielten, zog ein Beamter den Störenfried zur Seite, woraufhin sich eine Personengruppe von bis zu 60 Personen in das Geschehen einmischte und die Einsatzbeamten attackierte.

Tatsächliche Information: Der 22-jährige, der mehr störte als alle anderen und außerdem im Weg stand, wollte auch nach Aufforderung nicht gehen. Jemand mischte sich ein, als der „Störenfried zur Seite“ gezogen wurde. Diese Aktion störte andere Umstehende3
Füllmaterial: Die Personengruppe von bis zu 60 Personen. Nicht aus o.g. Gründen, sondern weil: Die Erwähnung der Demonstration erscheint jetzt noch merkwürdiger. Hatte die Gruppe etwas damit zu tun? Waren die „bis zu 60 Personen“ alle Demonstranten oder waren auch andere dazwischen? Waren in der Personengruppe auch die „mehreren“, die lautstark, aber nicht so behindernd wie der 22-Jährige störten usw. Interessant ist aber auch, dass die Polizei den ersten Satz der Pressemitteilung hier etwas variiert. Jetzt mischen sich nämlich nicht Personen „aus“ einer Gruppe ein, sondern eine gesamte Gruppe variabler Größe. An der Aussagekraft ändert das eher wenig: Wie viele Personen sich genau und in welcher Form eingemischt haben, steht da nicht.

Aus der Gruppe heraus wurden zwei Fahrräder gegen die Beamten geschleudert, wodurch ein Polizist eine Kopfverletzung erlitt, die später in einem Krankenhaus ambulant behandelt werden musste. 

Tatsächliche Information: Aus der Gruppe von bis zu 60 Personen Personen wurden zwei Fahrräder geworfen. Ein Polizist wurde dadurch verletzt und musste behandelt werden.
Füllmaterial: keins. Aber: Ein Fahrrad traf, das weiß man aus dem Video. Ob das zweite überhaupt Schaden anrichtete oder einen Meter vor den Polizisten zum Liegen kam, das weiß man nicht. Wie viele Personen am Werfen beteiligt waren und in wie weit die variable Gruppe damit nun überhaupt etwas zu tun hatte, auch das erfährt man nicht.

Mit Unterstützung weiterer hinzugerufener Polizisten wurde die Personengruppe abgedrängt und zwei Männer im Alter von 32 und 46 Jahren sowie eine 33-jährige Frau festgenommen. 

Tatsächliche Information: Es kam mehr Polizei. Die Personengruppe – wahrscheinlich die variable – wurde abgedrängt. Drei Personen wurden festgenommen.
Füllmaterial: keins. Aber: drei Personen aus der variablen Gruppe? Warum gerade diese drei, das steht da natürlich nicht. Aber von den „bis zu 60 Personen“ haben bis zu 57 wohl nichts gemacht, was irgendwie strafbar wäre.

Die Polizei hat noch eine zweite Pressemitteilung veröffentlicht, an der nun getestet werden kann, was da wirklich drin steht und was Füllmaterial ist. Nur so zur Erheiterung aus der zweiten:

Ein Polizist wollte die Personalien des jungen Mannes feststellen, um ihm dann einen so genannten qualifizierten Platzverweis auszusprechen. Hier widersetzte sich der auf dem Video zu sehende Mann und versuchte sich zu entfernen, so dass er von den Einsatzbeamten festgehalten werden musste und zu Boden gebracht wurde.

Abgesehen davon, dass die Polizei jemanden wegschickte, nur um ihn festzuhalten, als er tatsächlich gehen wollte und „zu Boden gebracht“ also „zur Seite genommen“ bedeutet, ist noch so einiges bemerkenswert an der Ergänzung. Aber das kann gerne jemand anderes machen, ich beiße sonst in meinen Schreibtisch.

Wer an dieser Stelle immer noch keine Ahnung hat, worum es eigentlich geht: hier das erste und das zweite Video zum umstrittenen Polizeieinsatz.

Das Artikelbild ist ein reines Symbolbild und entstand bei einer völlig anderen Gelegenheit.

 

  1. Gut, das weiß man hier noch nicht. []
  2. Das unterstellen wir hier mal. []
  3. Störenfried ist an dieser Stelle auch eine schöne Formulierung. Und „zur Seite ziehen“ auch. []

Ihr habt uns verraten

Wisst ihr noch wie’s früher war? Wir standen auf dem Schulhof, saßen am Nachmittag in der Stadt rum und hörten die Smiths. Das stimmt natürlich nicht so ganz, wir hörten euch: Die Ärzte, Die Toten Hosen und was uns noch so an Punk in die Finger kam. Wir waren kritisch, wir waren antifaschistisch, wir hatten nicht so richtig Ahnung, wovon wir eigentlich reden. Das war okay, denn wir hatten dich, Farin,  und dich, Campino, für das Globale hatten wir Greg.

Jetzt sind wir älter, wir sind in dem Alter, in dem man dem Klischee nach konservativer wird. Sind wir aber nicht geworden. Wir sind vielleicht nicht im Schwarzen Block, wir haben vielleicht nie die „richtigen“ antifaschistischen Punkbands gehört. Aber trotzdem: Wir stehen mit fassungslosem Blick vor der Gesellschaft, sehen das erneute Erstarken von Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Diskriminierung. Wir brechen jedes Mal, wenn wir Satzanfänge wie „Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber…“ hören oder Sätze mit „das wird man jawohl sagen dürfen“ enden. Wir wollen schreien, wenn die BILD sich als APO bezeichnet, wir verzweifeln, wenn Sarrazin und Pirinçci die Bestsellerlisten erobern. Wir applaudieren, wenn Bands sich weigern, mit Frei.Wild auf der gleichen Veranstaltung zu sein und wir begreifen die Welt nicht mehr, wenn der Aufschrei ein Jahr später ausbleibt.

Ihr habt uns verraten weiterlesen