Hochemotionaler einfacher unmittelbarer Zwang

Gerade heute wurde ich auf Facebook gefragt: „du zweifelst daran, dass gegen gewalttätige polizisten vorgegangen wird?“ Als ich mit einem einfachen „Ja.“ antwortete, wurde mir gesagt: „du machst den gleichen fehler wie die rechten idioten, wenn du pauschal urteilst.. hätte dich für cleverer gehalten…“ Tja, wie sich herausstellen sollte, lag ich mit meiner Einschätzung der Lage nicht ganz daneben. In einer Pressekonferenz äußerte sich heute der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann zu dem Einsatz, nachzulesen u.a. beim Deutschlandfunk. Schon der Bericht beim DLF ließt sich wie ein schlechter Scherz, noch besser wird es allerdings, wenn man die Pressemitteilung der Polizei Chemnitz direkt liest.1

Das Ende gleich vorweg, das Urteil von Uwe Reißmann steht fest.

„An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln. Um die Situation nicht noch mehr zu verschärfen und damit Verletzte und Sachschäden zu riskieren, war es notwendig, die Asylsuchenden schnellstmöglich in ihre Unterkunft zu bringen. Dafür war einfacher unmittelbarer Zwang zum Schutz bei drei der Ankommenden notwendig. Für unseren mehrstündigen, hochemotionalen Einsatz, bei dem es am Ende keine Verletzten und Sachschäden gab, mit einer kurzen, losgelösten Videosequenz und ohne bisherige Kenntnis der Hintergründe öffentlich angeprangert zu werden, weise ich entschieden zurück. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kollegen der Bundespolizei dafür, dass sie Unterstützung für die Landespolizei geleistet haben.“

 

„An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln.“ Ein Persilschein, zwei Tage nach den Vorfällen. Gestützt auf was? Offensichtlich auf genau die Aussagen, die auch in der Pressemitteilung wiedergegeben werden. Dort heißt es zur Situation ab 19:45 Uhr:

Drei Streifenwagen des Reviers Freiberg und sechs Beamte der Bundespolizei sind vor Ort. Die Gruppe der Versammelten ist inzwischen auf ca. 100 angewachsen. Der Bürgermeister und das Landratsamt werden über die Situation informiert und kommen vor Ort. Es wird Unterstützung aus der PD Zwickau angefordert. Zwei Diensthundeführer der Polizeidirektion Chemnitz sowie zwei Funkwagen des Reviers Marienberg werden aktiviert. Nach einem Lageüberblick bittet der zu diesem Zeitpunkt den Einsatz führende Beamte des Reviers die Versammelten um Ruhe und erteilt der Personengruppe einen Platzverweis. Dem leistet niemand Folge. Der Beamte erklärt die drohenden Konsequenzen des Nichtfolgens (Räumung, ggf. unter unmittelbarem Zwang). Die Versammelten reagieren mit Gelächter. Daraufhin werden die Halter der drei Blockadefahrzeuge ermittelt. An sie ergeht die Aufforderung, die Fahrzeuge wegzufahren, mit der Androhung des Abschleppens. Dies wird kurz darauf befolgt.

Zusammenfassung: Es wurde ein Platzverweis ausgesprochen, dem niemand gefolgt ist. Erklärungen der Polizei werden mit Gelächter quittiert. Aber immerhin werden die blockierenden Fahrzeuge entfernt. Ein Umleiten des Busses bzw. eine Positionierung des Busses außerhalb des unmittelbaren Bereiches scheint den Polizisten nicht in den Sinn gekommen zu sein. Die Polizei ist sich, nach eigener Aussage, an dieser Stelle durchaus bewusst, dass sie in keinster Weise ernstgenommen wird. Trotzdem lässt sie den Bus direkt vor die Aufnahmeeinrichtung fahren, ein „Mitziehen“ der „Demonstranten“ kann sie dabei nicht verhindern. Vor der Tür gestaltet sich die Lage so:

Der Polizeiführer verfügt jetzt über 23 Einsatzkräfte. Aufgrund des Kräfteverhältnisses und der frei zugänglichen Örtlichkeit ist ein Fernhalten der Protestierenden vom Bus nicht möglich. Deshalb wird sich auf den unmittelbaren Eingangsbereich konzentriert. Es gibt lautstarke Protestrufe. Ein Rufer droht das Begehen einer Straftat an. Die Businsassen wollen das Fahrzeug nicht verlassen.

Natürlich wollen 20 Personen einen (halbwegs) sicheren Ort nicht verlassen, wenn draußen 100 pöbelnde und, so die logische Schlussfolgerung, gewaltbereite Personen stehen.2 Es werden sogar Straftaten angekündigt, die Situation verschärft sich aber erst durch die Flüchtlinge:

Die Lage verschärft sich, als aus dem Bus heraus die Protestierenden gefilmt werden und von einem Jungen provozierend gestikuliert wird (u.a. Zeigen des Mittelfingers). Um die Situation zu beruhigen, wird der Junge aus dem Bus in die sichere Unterkunft gebracht. Für diese Maßnahme macht sich einfacher unmittelbarer Zwang notwendig.

Ein Junge gestikuliert und zeigt den Stinkefinger. Was der Deutsche bei Effenberg ja noch ganz lustig findet, geht bei Flüchtlingen natürlich gar nicht. Da kann man dann der „verbalen“ Gewalt der „Demonstranten“ natürlich auch noch Gewalt von Seiten der uniformierten Staatsbediensteten hinzufügen. Die Polizei wird zur Sicherung der Flüchtlinge abgestellt. Es kommt zu Problemen, größeren Problemen als vorher antizipiert. Zur Lösung der Situation greift die Polizei die Personengruppe an, zu deren Schutz sie abgestellt war. Das ist einsatztaktisch natürlich astrein, da gibt es nichts dran zu rütteln. Wenn da 100 Personen stehen, die ohne Grund und auch – korrigiert mich, wenn ich da falsch liege – ohne Schutz durch die Versammlungsfreiheit eine Gruppe von 20 Personen bedrohen, dann ist es natürlich völlig logisch, dass die Polizei den Druck auf die 20 Personen noch weiter erhöht. Immerhin haben die offensichtlich verängstigten Personen die „Demonstranten“ mit Gesten provoziert! Ja vielleicht sogar bedroht! Da gibt es nichts dran zu rütteln!

Hoffentlich ermittelt die Polizei jetzt wenigstens gründlich gegen die Flüchtlinge, wie von Reißmann angekündigt.3 Anderweitige Ermittlungen scheint die Polizei ja nicht für nötig zu halten oder zumindest erwähnt sie sie nicht. Konsequenzen für die „Demonstranten“: 14 Anzeigen, drei gegen die Fahrzeughalter und elf gegen Protestierer. Konsequenzen für die Polizisten werde der Einsatz nicht haben, das hält Reißmann für „nicht nötig„. Von irgendwelchen Konsequenzen für die Teilnehmer des Mobs redet Reißmann nicht oder die Nachrichtenportale schreiben davon nichts. Ich tippe auf die erste Möglichkeit. Warum auch? Die aufrechten Deutschen wurden schließlich durch Effenberg-Imitationen massiv bedroht.

Armes Deutschland.

 

Wenn der Stahlhelm anrückt, wenn die Nazis schrein:
»Heil!«
dann steckt die Polizei den Gummiknüppel ein
und denkt sich still ihr Teil.
Denn auf Deutsche schießen, in ein deutsches Angesicht:
Das geht doch nicht!
Das kann man doch nicht!

Kurt Tucholsky – 50% Bürgerkrieg (1930)

Nachtrag: Schöne Zusammenfassung.

 

Hat jemand von Euch die Pressekonferenz der sächsischen Polizei zu den Ereignissen aus #Clausnitz mitbekommen? Dank…

Posted by PM Cheung – Photography on Saturday, February 20, 2016

  1. Kommentare dazu, warum das sächsische Innenministerium die Polizei erstmal „selbst aufklären“ lässt und zum Flüchtlingsheim leitenden AfD-Politiker spare ich mir an dieser Stelle. []
  2. Ob die nun gewaltbereit waren oder nicht: Für die Flüchtlinge sah es mit hoher Wahrscheinlichkeit nach gewaltbereit aus. []
  3. Bei SPON heißt es: „Anders als gerüchteweise im Internet verbreitet wird, gibt es keine Anzeige gegen Asylbewerber.“ []

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