Wer das nicht will, kann wieder gehen

Sigrid Griesel, ehemalige Bürgermeisterin meiner Heimatstadt Aurich, ist mittlerweile wieder auf der politischen Bühne aufgetaucht. Als Fraktionsvorsitzende der Partei „Gemeinsam für Aurich“ (GfA) mischt die geschiedene Stadtvorsteherin nun auf einer etwas untergeordneten politischen Ebene mit. Jüngst musste sie sich mit einem Antrag über die „Einrichtung ei­nes Gräberfeldes für die Bestattung von Muslimen“ rumschlagen, den sie heldenhaft abgelehnt hat.1 Weil Muslime immer gehen, wenn es gerade kein anderes Thema gibt, hat die „GFA Redaktion“ gleich einen Blogartikel draus gemacht und Frau Griesel sich vor Unwissenheit ins Gräberfeld des politischen Aus‘ geschossen.

„Gesetzliche Regelungen gelten für alle!“ heißt der Blogartikel für den sich Jürgen Wieckmann verantwortlich zeichnet und es lohnt sich, wie bei nahezu allen politischen Stellungnahmen, mal einen genaueren Blick in die Argumentation zu werfen. Im Vorspann heißt es:

Die SPD-Stadtratsfraktion hat zu­sam­men mit Bündnis 90/Die Grünen und der GAP die Einrichtung ei­nes Gräberfeldes für die Bestattung von Muslimen ge­for­dert. In Abstimmung mit der is­la­mi­schen Gemeinde in Aurich soll nun eine ent­spre­chende Friedhofssatzung er­ar­bei­tet wer­den. […]

Etwas später im Interview steht:

Insofern hät­ten die Antragsteller der SPD und Grünen erst ein­mal hin­ter­fra­gen müs­sen, ob die is­la­mi­sche Gemeinde sich hier kom­pro­miss­be­reit zeigt.

Es ist schon etwas merkwürdig, wenn man selbst erst schreibt „In Abstimmung mit…“ und dann sagt „erstmal hinterfragen, ob die sich kompromissbereit zeigen“. Das Wort Abstimmung beinhaltet schon einen Verhandlungsprozess, der stattfinden wird. Woher Griesel weiß, dass vorher keine entsprechenden Gespräche stattgefunden haben, sagt sie leider nicht. Aber diese Art der Argumentation hat im Artikel System.

Wir ha­ben in der GFA-Stadtratsfraktion aus­führ­lich über die­sen Antrag be­ra­ten. Dabei ha­ben wir uns zu­nächst ein­mal da­mit be­fasst, wel­che be­son­de­ren Rituale der Islam ein­for­dert […].

Da ist […] die is­la­mi­sche Forderung, Bestattungen spä­tes­tens in­ner­halb von 24 Stunden nach dem Ableben vor­zu­neh­men. Dies ist nach un­se­ren Gesetzen nicht mög­lich, weil eine Mindestwartezeit von 48 Stunden vor­ge­se­hen ist.

Im Islam wird die Bestattung in ei­nem Leinentuch vor­ge­nom­men. In Deutschland ist die Benutzung ei­nes Sarges vor­ge­schrie­ben.

Tatsächlich ist es in Deutschland so, dass Beisetzungen erst nach 48 Stunden möglich sind. Ein Umstand, bei dem sich gläubige Muslime kompromissbereit zeigen müssen, denn aktuell sieht es nicht danach aus, dass diese bundesweit geltende Bestimmung aufgehoben oder gelockert wird. Anders sieht es allerdings bei der Sargpflicht aus. Diese ist in Deutschland nicht bundesweit vorgeschrieben, Einzelheiten regeln die Länder im Bestattungsrecht bzw. die Kommunen das Friedhofsrecht bzw. die Friedhofssatzung. In verschiedenen Bundesländern ist die Sargpflicht schon gelockert worden, um eben auch Muslimen die Bestattung auf ausgewiesenen Flächen zu ermöglichen. Denn, und das ist ein Punkt, den Griesel nicht verstanden hat: Gesetzliche Regelungen gelten für alle. Darunter zählt auch Artikel 4 des Grundgesetzes. Wir vergessen gerne, dass „Religionsfreiheit“ nur eine hohle Phrase war, weil es eigentlich nur eine öffentlich wahrgenommene Religion in Deutschland gab. Das ändert sich langsam, jetzt muss man sich wieder daran erinnern, was im Grundgesetz steht.

Weiter im Text:

Wie wol­len Sie eine „Auricher-Sondergesetzliche Regelung für Muslime“ be­grün­den? Gesetzliche Regelungen gel­ten in un­se­rem Land für alle glei­cher­ma­ßen, so­wohl für Katholiken, Protestanten, Atheisten und….natürlich auch für Muslime. Das ist je­den­falls Fakt. Insofern se­hen wir hier nicht ein­mal eine Diskussionsgrundlage für ir­gend­wel­che Ausnahmen. Wenn es ein Gräberfeld für Muslime ge­ben soll, dann kann eine Bestattung erst nach 48 Stunden und zwin­gend in ei­nem Sarg statt­fin­den! Insofern hät­ten die Antragsteller der SPD und Grünen erst ein­mal hin­ter­fra­gen müs­sen, ob die is­la­mi­sche Gemeinde sich hier kom­pro­miss­be­reit zeigt. Alles an­dere ist doch reine Augenwischerei und Medienpolitik.

Wer hier Augenwischerei und vor allem „Medienpolitik“ betreibt, ist Griesel. Auf welcher Grundlage eine Regelung gefunden werden soll? Artikel 4 Grundgesetz? §11 Abs. 1 des Niedersächsischen Bestattungsrechts, wo geregelt ist, dass „auch die Bestattung einer verstorbenen Person aus religiösen oder traditionellen Gründen in einem Leichentuch anstelle eines Sarges [möglich ist], wenn dies genehmigt ist (§ 11 Abs. 1)? Wäre mal so ein Vorschlag. Denn: „Gesetzliche Regelungen gelten in unserem Land für alle gleichermaßen.“2 Die ganze Antwort von Griesel, hätte sie sich zusammen mit ihrer Fraktion wirklich informiert, müsste also eigentlich lauten: „Wenn mit der islamischen Gemeinde eine Regelung zur 48-Stunden-Bestimmung gefunden werden kann, spricht eigentlich nichts gegen die Einrichtung eines Gräberfeldes.“3 Obwohl, einen kleinen Punkt gibt es schon noch, denn Muslime liegen gerne im wahrsten Sinne des Wortes bis ans Ende aller Zeiten in ihrem Grab. „Ewiges Ruherecht“ heißt das und das ist auf deutschen Friedhöfen eher unüblich, ebenso wie die „jungfräuliche Erde“, in der der Leichnam bestattet werden muss. Das ist auch Griesel bekannt:

Hinzu kommt, dass der Brauch auch vor­sieht, dass sterb­li­che Überreste nie aus dem Grab ent­fernt wer­den dür­fen. Das hat so­gar schon dazu ge­führt, dass z.B. in München Mehr-Personen-Lösungen prak­ti­ziert wer­den. Das heißt nichts an­de­res, als das zwei bis drei Personen über­ein­an­der be­stat­tet wer­den.

Ja, und? Solange das religiös in Ordnung ist? In Deutschland macht man das auch, spätestens nach 25 Jahren. Sonst wären nahezu alle Familiengräber unmöglich. Und, wenn Griesel kurz danach zur Mehr-Personen-Lösung sagt:

Ich will das hier nicht wei­ter kom­men­tie­ren aber was das mit Totenruhe zu tun ha­ben soll, er­schließt sich mir nicht.

Die „Totenruhe“ wird in Deutschland grundlegend auf Bundesebene festgelegt. Dort spricht man von „Ruhezeiten“ und die sind verhältnismäßig kurz:

Die Ruhezeit der Verstorbenen ist nach der Verwesungsdauer festzulegen. Sie beträgt bei Kindern, die vor Vollendung des zweiten Lebensjahres gestorben sind, mindestens sechs Jahre, bei Kindern, die vor Vollendung des zehnten Lebensjahres gestorben sind, mindestens zehn Jahre, im Übrigen mindestens 15 Jahre (Mindestruhezeit).

Nach Ablauf der Ruhezeit (die in vielen Friedhofssatzungen auf maximal 25 Jahre festgelegt ist), können die noch auffindbaren Gebeine auch nach Zustimmung der Gemeinde in „in belegte Grabstätten aller Art umgebettet werden“ [Gemeinde Lehre]. Angesichts dieser gelebten Praxis von „Totenruhe“ zu faseln ist bigott.

Wenn sich Griesel und mit ihr die GfA nicht durch Unwissenheit an dieser Stelle selbst in Aus geschossen haben, schaffen sie es mit dem letzten Satz der Stellungnahme:

Wer das aber un­be­dingt al­les nicht will, hat durch­aus die freie Entscheidung alle vom Islam ge­for­der­ten Rituale in den Herkunftsländern ein­zu­hal­ten.

Übersetzt: Wer sich auf die Religionsfreiheit beruft, kann auch gerne wieder gehen, denn Religionsfreiheit genießt nur, wer deutscher Abstammung und Christ ist.

  1. Hat keine Auswirkungen, die Mehrheit hat dafür gestimmt. []
  2. Diese Formulierung „unser Land“ lässt schon tief blicken. []
  3. Die 48 Stunden Regel nimmt Hamburg übrigens nicht so ernst. []

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