Es passiert immer wieder, dass irgendein Artikel aus irgendeinem eher konservativen Blatt in meiner Timeline auftaucht, in dem sich wieder irgendjemand über „Gender Mainstreaming“ oder verwandte Themen aufregt. Ich schrieb ja auch schon etwas darüber.
Jüngst tauchte der „Genderwahn“ auf. Der Studiblog hatte sich, basierend auf einem Artikel der Welt, dem Thema angenommen. Könne ja nicht sein sowas! So bzw. ähnlich wurde der „Genderwahn“ von Nutzern bei Facebook kommentiert. Was mal wieder zeigt, dass der Deutsche1 beim Thema „Gender“ seinen Verstand ausschaltet. Eine Analyse des Artikels beim Studiblog, bei Welt und was das Ganze mit Journalismus zu tun hat.2
Für mich gehört Gleichberechtigung der Geschlechter zum Grundbild unserer Generation. […] Es ist wichtig, Frauen und Männer, (oder auch nichts davon) so anzusprechen, dass sich niemand benachteiligt oder hervorgehoben fühlt. Von den Mitteln sprachlicher Verunglimpfung von Wörtern halte ich aber überhaupt nichts. Kein Binnen -I und kein Studentx,
So der Anfang des Studiblogs-Artikels von Andre. Für Gleichberechtigung, aber gegen die Veränderung von Sprache. Naja, kann man so machen, is nur Blödsinn.3 Andre stellt zwar am Ende seines Artikels fest, „dass Genderforschung natürlich nicht nur Unsinn […] produziert“, aber die Dinge, die da in der Welt stehen, die seien ja nun schon ziemlicher Blödsinn. Das Problem ist, dass im Welt-Artikel zwar eine Menge steht, aber kaum etwas davon über subjektives Empfinden hinaus geht.
Das zeigt schon der Untertitel des Artikels von Michael Ginsburg: „Erfahrungsbericht eines Studenten“. Keyword here: eines. Singular.
Der, wie angekündigt, sehr subjektive Artikel bedient sich der typischen Kniffe, um die Erfahrung eines einzelnen Menschen zu generalisieren.
Man könnte diese Zeilen [aus dem Lied „Einmal um die Welt“ des Musikers Cro; C.H.] als eine gewöhnliche Liebesschmonzette abtun und sie schnell wieder vergessen. Man kann aus ihnen aber auch eine Wissenschaft machen. Letzteres tun derzeit die Studenten der Berliner Humboldt-Universität.
„Die Studenten“ impliziert eine Masse, „man könnte“ grenzt diese (eingebildete?) Masse gleich gegen die generischen „Normalen“ ab. Im nächsten Absatz ist dann auch noch von „die schlauen Studenten“ die Rede. Es wird der Eindruck geschaffen, dass es sich um viele, ganz ganz viele handelt. In der Bildunterschrift sind es immerhin nur noch „einige“ Studenten. Erst ein paar Absätze weiter wird gesagt, woher die Genderwahn-Vorschläge überhaupt kommen.
Geht es also nach Studenten der Genderstudies an der Humboldt-Universität, müsste Cros Text wohl so gehen:
Also sind es nicht „die Studenten“ der Humboldt, sondern die Studenten der Genderstudies.4 Die nachfolgende, „politisch korrekte“ Version des Cro-Songs macht den „Genderwahn“ deutlich. Im Studiblog heißt es:
Die Studenten der Humboldt Universität Berlin, die sich intensiver mit Genderstudies beschäftigen, stellen zur Zeit Projekte vor, die noch weiter über diese Forderungen hinaus gehen.
Deutlich machen sie dies an dem Songtext von Cro:
und
Die Berliner Studenten haben den Text einmal so verändert, wie er “richtig” lauten müsste:
Tatsächlich ist aber nirgendwo die Rede davon, dass irgendwelche Studenten5 den umgedeuteten Text geschrieben haben. Höchstens einer, nämlich Michael Ginsburg. Ginsburg schreibt nämlich nicht „laut den Studenten müsste“ oder ähnliches, er schreibt: „Geht es also nach Studenten der Genderstudies an der Humboldt-Universität, müsste Cros Text wohl so gehen“. Keywords here: müsste und wohl. Es ist eine Vermutung von Ginsburg, zumindest legt die Wortwahl das nah. Es scheint also eher so zu sein, als hätte sich Ginsburg diesen Text ausgedacht.
Ähnlich verhält es sich mit dem „Projekt“ der Umbenennung der Humboldt-Uni. Bei Ginsburg steht:
Ein anderes Projekt der Humboldt-Studenten will, dass ihre Uni nicht mehr Humboldt-Uni heißt, weil die Humboldt-Brüder in Wahrheit – Sie werden es ahnen – rassistische, diskriminierende und sexistische weiße Männer waren.
Nun ist es so, dass es immer wieder aus verschiedensten Richtungen Diskussionen darüber gibt, die eine oder andere Uni umzubenennen.6 Die ganzen Projekte, die Ginsburg aufgrund der streng empirischen Auswertung seiner Erfahrung aufzählt, klingen weniger nach Projekten und mehr nach Referaten. Allerdings macht der Studiblog auch hier seinem Namen wieder keine Ehre. Dort heißt es:
Deswegen sollte die Uni umbenannt werden.
Viel Spielraum ist aus Genderlogik allerdings nicht.
“Vielleicht würde es aus dieser Logik heraus Sinn machen, die Uni nach einer unbekannten, diskriminierten, transsexuellen, behinderten, chinesischen Dorfbewohnerin umzubenennen, die sich im Kaiserreich erfolglos für Tierrechte einsetzte. ”
Die „Genderlogik“ forderte allerdings, laut Ginsburg, etwas ganz anderes, nämlich: „Sie fordern, dass die Uni umbenannt wird, nach einer Person, die nicht privilegiert war und sich gegen Diskriminierung und Gewalt wandte.“ Was der Studiblog da zitiert sind erneut die Gedanken von Ginsburg.
Im Artikel von Ginsburg und von Andre sind noch ein paar solcher Fehlschüsse, aber ich bin eh schon über die tl;dr-Grenze hinaus.
Artikelbild: https://www.flickr.com/photos/thomascummins/
- Manchmal auch die Deutsche. [↩]
- Spoiler: Gar nichts. [↩]
- So ein Blödsinn, dass mir kein Vergleich einfällt, der zeigt, wie blödsinnig das ist. [↩]
- Natürlich alle davon. [↩]
- Ich bleibe übrigens bewusst beim generischen Maskulinum, weil es hier so schön passt und der Weinerei über den „Genderwahn“ eine schöne, satirische Tiefe verleiht. [↩]
- Na, wie kam die Uni Oldenburg nochmal zu ihrem Namen? [↩]