Frei.Wild und die Diskussionskultur

Die Band Frei.Wild ist ein Phänomen, welches seit einiger Zeit durch Deutschland und auch immer wieder durch die Medien geistert. Die dominierende Frage dabei ist, ob die Mitglieder von Frei.Wild nun Rechtsextreme/Nazis sind oder eben nicht. Diese Frage ist aber wenig zielführend, da sie bei vielen Menschen eh nicht so eindeutig beantwortet werden kann und noch viel weniger werden es offen zugeben, zumal wenn die „Befragten“ in der Öffentlichkeit stehen. Es ist viel mehr wichtig zu fragen, ob das, was Frei.Wild in ihren Texten singen, nationalistisch, völkisch oder ähnliches ist. Aber selbst, wenn man diese Frage mit „Ja“ beantwortet, macht das aus den Bandmitgliedern noch lange keine Nazis. Ich selbst kenne genug Personen, die sich mit ihren Äußerungen am rechten Rand bewegen, als Nazis würde ich sie deswegen trotzdem nicht bezeichnen. Die Band distanziert sich auch mit mehreren Aktionen gegen Rechtsextremismus, wobei dieser Umstand wiederum nicht gleichzusetzen ist mit einer Absolution gegenüber den Texten.

Frei.Wild stammen aus Südtirol, welches bekanntlich zu Italien gehört. In Südtirol sprechen aber knapp 64% der Bevölkerung Deutsch, was neben Italienisch auch die Amtssprache ist. Frei.Wild gehören zum deutschsprachigen Teil Südtirols. In ihren Texten geht es, durchaus nach eigenem Bekunden, um Freundschaft, Geld, Alkohol, Führerscheinentzug, Freiheit, den Umgang mit Rückschlägen und Niederlagen sowie um die Heimat. Klassische Inhalte, die an sich nicht verdächtig sind. Auch Lieder auf die Heimat oder das, was als Heimat empfunden wird, sind keine Seltenheit im deutschsprachigen Liedraum. Es geht also um konkrete Inhalte.

In der Berichterstattung werden immer wieder ganz bestimmte Lieder herangezogen, darunter „Land der Vollidioten“, welches wie folgt beginnt:

Das ist das Land der Vollidioten,
die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat.
Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten,
wir sind einfach gleich wie Ihr .. von hier.

Die hier angewandten Mechanismen sind durchaus interessant. Auf der einen Seite wird sich distanziert von „Anarchisten“ und „Neonazis“, auf der anderen Seite distanziert man sich von all denen, die denken, dass „Heimatliebe […] gleich Staatsverrat“ ist. Zugleich solidarisiert man sich mit allen, die „von hier“ sind. Als Südtiroler müssten sie mit „von hier“ eigentlich Südtirol meinen (also Italien). Mit „hier“ ist aber mehr als nur Südtirol gemeint, es ist etwas deutsches im weiteren Sinne gemeint. Im Lied „Wahre Werte“ heißt es: „Unser Tirol gibt es seit zwölfhundert Jahren“. Tirol gehörte vor gut 1200 Jahren noch zum Großherzogtum Bayern. Auch wenn sich die Herzogtümer und Staaten seit damals mehrfach geändert haben, scheinen sich Frei.Wild als „deutsch“ und nicht als „italienisch“ zu sehen. Die Gemeinschaft, die mit den Worten „von hier“ aufgemacht wird, geht also weit über Südtirol hinaus und ist bezogen auf „deutsch“. „Gleich wie ihr, von hier“ macht außerdem noch eine Abgrenzung zwischen denen, die gebürtig/kulturell von „hier“ kommen und „den anderen“, auf die das eben nicht zutrifft, auf. Dies ist eine  nationalistische Argumentation, die dem „exklusiven Nationalismus“ zuzuordnen ist. Es wird eben nicht die Nation als Mischung verschiedener Bevölkerungsanteile mit verschiedenen kulturellen Identitäten beschrieben, sondern etwas in der Vergangenheit begründetes, überhöhtes.

Diese Abgrenzung und Rückbesinnung auf etwas Ur-(deutsches)(nationales) wird noch verstärkt durch ein paar Zeilen später im Lied „Land der Vollidioten“. Dort heißt es:

Der Rest in Italien schämt sich nicht zu sagen,
woher er kommt!
Wir sind Opfer einer Resozialisierungspolitik,
und viele Leute bei uns bemerken es nicht.

Wenn „der Rest in Italien“ sich nicht schämt, muss es zu Südtirol einen Unterschied geben. Der Unterschied besteht im „Deutschsein“, womit die Brücke zu immer wiederkehrenden, bundesdeutschen Debatten über Patriotismus und „Resozialisierungspolitik“ gezogen wird. Auch hier wird auf nationalistisch-völkischer Ebene argumentiert. Die Meinung über „andere“ wird kurz darauf auch noch einmal deutlich.

Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt
vor den andersgläubigen Kindern.

Respekt vor anderen kulturellen Identitäten ist also etwas, was nur „Vollidioten“ tun. Südtirol bzw. der deutschsprachige Raum sind eng mit dem Kreuz (=dem Christentum) verbunden und Schulen zu einem säkularisierten Raum zu machen, ist dumm. Der Ist-Zustand heterogener Gesellschaften, die Pluralität wird hier abgestraft und es wird sich wieder eine völkisch-nationalistisch-historische „Identität“ herbeigesehnt. Die Absage an politische Lager, die auch aber nicht nur in diesem Lied vollzogen wird, ändert an diesem Umstand nichts. Der Inhalt des Liedes bleibt völkisch und nationalistisch motiviert.

Zurückgehend auf den Anfang des Artikels bedeutet dies nicht, dass Frei.Wild Nazis, rechtsextrem oder ähnliches sind. Es bedeutet nur, dass einige ihrer Lieder1 nationalistische Inhalte transportieren. Inhalte, die man aus rechtsextremen und identitären Lagern kennt. Dieser Umstand ist nicht wegzureden und es ist auch egal, dass Frei.Wild nicht die einzigen sind, die das tun. Auch Musiker wie Xavier Naidoo schlagen mitunter ähnliche Themen mit ähnlichem Vokabular an. Frei.Wild und auch die Fans dieser Gruppe, müssen es sich nur gefallen lassen, dass man so etwas grundsätzlich kritisch hinterfragt und in weiteren Schritten dann evtl. nach der Motivation fragt: Warum distanziert sich die Band auf der einen Seite von rechtsextremen Gruppierungen, fischt aber genau in den Gebieten, die u.a. zum Kerngebiet dieser Gruppierungen gehören. Und warum singen die Fans diese Texte mit voller Inbrunst mit? Gerade die letzte Frage kann man wohl guten Gewissens damit beantworten, dass die Texte Zustimmung finden. Das macht die Fans nicht zu Nazis, aber man muss fragen, warum ein Fan dem nationalistisch-identitärem Duktus zustimmt oder ob das überhaupt so wahrgenommen wird.

Diese Diskussion wird aber leider nicht geführt. Zu schnell sind die Gegner dabei, die rechtsextreme Vergangenheit und Verknüpfungen des Leadsängers ins Feld zu führen. Das ist falsch, weil argumentativ schwach. Es muss um die konkreten Liedtexte gehen, vor allem um die Texte, die offensichtlich oder versteckt nationalistisch, völkisch und identitär argumentieren. „Das, was du sagst ist nationalistisch“ muss Grundlage aller Diskussion sein, nicht „Du bist nationalistisch“. Insofern gehen die meisten Artikel und auch der heute in den Ostfriesischen Nachrichten erschienene an einer sinnvollen Diskussion vorbei. Es geht zunächst nicht darum, ob Frei.Wild eine rechtsextreme Band sind, sondern darum, ob die Texte gewisse, an den rechten Rand gehörende bzw. dort besonders populäre Inhalte transportieren. Um es mit dem Ende des nachfolgenden Videos zu sagen: I don’t care what you are. I care about what you did.

P.S.: Bitte das im Video genannte Beispiel „Rassismus“ gedanklich durch „Nationalismus“ ersetzen. Bevor das jemand falsch versteht. Es geht um die am Beispiel festgemachte Art der Argumentation, nicht um das Beispiel.

  1. auch wenn hier nur eines genauer betrachtet wurde. []

13 Gedanken zu „Frei.Wild und die Diskussionskultur“

  1. Die Frage, die sich stellt, ist aber doch auch…kann und sollte man überhaupt zwischen einer nationalistischen Einstellung und einer entsprechenden Äußerung unterscheiden? Und wenn ja, warum? Wird eine „nationalistische“ Aussage besser, wenn der Sprecher betont, kein Nazi zu sein? Und wird umgekehrt Musik von einem bekennenden Nazi hörenswert, zudem ich durch das Rezipieren möglicherweise seinen Lebensunterhalt und antidemokratische Aktionen unterstütze!

  2. Die Frage nach der Einstellung zielt schon wieder auf die Person ab und muss zunächst nachgeordnet sein. Die Frage nach der Einstellung kann nämlich erst dann ordentlich gestellt werden, wenn betrachtet wurde, ob die Inhalte nationalistisch sind. Wenn man das nämlich festgestellt hat, kann und muss man nach den Gründen fragen. (Nicht nur nach den Gründen des Senders, sondern auch nach den Gründen der Empfänger). Eine ordentliche Betrachtung der Inhalte ist aber bisher medial nicht in Breite geschehen.
    Eine nationalistische Aussage wird nicht „besser“ oder „schlechter“, wenn der Sender betont, kein Nationalist zu sein. Wenn der Sender dies aber betont, kann man ganz sachlich fragen, warum dann solche Inhalte verbreitet werden, ohne dabei auf die „Du bist ein Nazi“-Schiene auszuweichen. Die Inhalte müssen so lange wie möglich im Mittelpunkt stehen, sonst bringt die ganze Diskussion nichts.
    Und natürlich kann ich zwischen einer Einstellung und einer Äußerung unterscheiden. Nicht jeder, der einen frauenfeindlichen Witz macht, ist ein Frauenfeind. „Was hast du getan“ ist und bleibt da wichtig, auch zur Aufklärung und Ausräumung unbewusster Handlungen. Neben der Möglichkeit, dass jemand die Einstellung XY hat und deswegen xy-hafte Äußerungen tätigt, gibt es immer noch die Möglichkeit, dass jemand xy-hafte Äußerungen macht, weil er nicht drüber nachdenkt.

  3. Ich möchte Personen bei solchen, nationalistischen Aussagen nicht vom Inhalt trennen. Genau so, versucht doch die NPD seit Jahren populistische Themen zu besetzen und so Anhänger „schleichend“ zu erobern. Nationalistische Inhalte sind genauso zu „bekämpfen“ wie Nationalisten, die versuchen über Vehikel, die auf den ersten Blick keine rechte Färbung haben, Eingänge zu schaffen!

  4. Guck dir das Video noch einmal an. Das beschreibt recht gut (nochmal), warum es bei, nennen wir es mal „nicht eindeutig zuordbaren“ Gruppierungen schwierig und sogar schädigend ist, gleich mit der „Du bist…“-Keule zu kommen.
    Davon ab sagt ja niemand, dass man für immer und ewig Person und Aussage trennen muss. Es geht darum, erst einmal die Aussage und die Beweggründe deutlich zu fassen, bevor man sich mit der Person und den innersten Einstellungen und Zuschreibungen befasst.

  5. Ich habe das Video ausgiebig gesehen…finde die Aussagen und Schlüsse aber nicht richtig und in vielen konkreten Fällen kann eine solche Teilung gefährlich sein.

  6. Dann hast du es nicht genau verstanden. Es geht nämlich nicht um konkrete Fälle in dem Sinne, dass man z.B. mit eindeutigen Rassisten o.ä. spricht. Im Falle eines NPD-Funktionärs kann und darf ich die Aussagen nicht losgelöst von der Person betrachten. Es geht darum, dass man nicht _jeden_ der z.B. etwas rassistisches sagt, gleich als Rassist abstempelt. Im Falle von Frei.Wild und anderen Bands beißt sich die Aussage „Ihr seid Nationalisten oder whatever“ mit der Tatsache, dass sie sich gegen Extremismus aussprechen und teilweise einsetzen. Entsprechend sind die „du bist“-Argumentationen schnell entkräftet. Was fehlt ist die „was du sagst, das ist…“-Diskussion, in der nicht sofort auf die leicht zu entkräftende „Du bist“-Schiene gesprungen wird. Aus bisherigen Diskussionen kommt bspw. Frei.Wild viel zu einfach raus, eben weil man sich argumentativ schlecht nähert.

  7. Du kannst mir schon glauben, dass ich es verstanden habe. Ich meinte mit konkret auch nur, dass das ganze in Video sehr theoretisch ist. Konkret, vor Ort im Leben machen sich Nazis genau solche Unterscheidungen zu Nutze!

  8. *seufz* Es geht hier aber nicht um konkrete Nazis vor Ort, es geht um die Diskussion über/mit einer Band und mit den Fans. Und gerade bei letzteren geht es nicht um „Nazis“, sondern – und davon bin ich überzeugt – um viele Personen, die einfach nicht so wirklich darüber nachdenken, was sie da mitsingen, die sich mit „Wir sind gegen Nazis“-Statements abspeisen lassen, weil sich niemand die Mühe macht, einmal tatsächlich inhaltlich über die Texte zu reden.
    Es geht hier nicht um eingefleischte Nazis. Vielmehr geht es, wenn wir das ganze etwas abstrahieren wollen, um Alltags-Nationalismus, den man erst recht nicht mit der „Du bist Nazis“-Keule bekämpfen kann.

  9. Das hier nichts mit der Keule bearbeitet werden kann ist klar. Gerade bei Leuten, die hier mitgrölen muss man den Inhalt diskutieren, sicher. Aber gerade den „Alltagsnationalismus“ möchte ich nicht verharmlost wissen. Durch solche Bands, Texte, und Fans entsteht ein Klima, in dem echter Nationalismus prima gedeiht und sich neue Sympathisanten suchen kann. Muss man solchen Musikern, solchen Texten und solchen Fans Raum geben? Ich glaube nicht, dass es funktioniert, nach einem solchen Konzert eine Diskussionsrunde über die Texte der Band anzuschieben.
    Der Ansatz des Videos und der Idee ist mir schon klar – ich sehe nur nicht, wie das gehen soll!

  10. Der Diskussionsansatz verharmlost nicht und natürlich funktioniert es, wenn man regelmäßig sachlich über die Band diskutiert. Vor allem, weil im Zweifelsfall irgendwann genug Diskussionsgrundlage geschaffen wurde, dass man sich den inneren Einstellungen widmen kann.
    Und den Texten, der Band und den Fans wird eben dadurch Raum gelassen (bisher), dass man sie leicht vom Haken lässt.

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