Brake: Die Kleinstadt und ich

Richtig: Chefchen und mich hat es in eine westdeutsche Kleinstadt verschlagen. Was ein Kulturschock, sag ich euch! Magdeburg mag keine Weltstadt sein, aber hier is ja mal so gar nix los. Echt nicht. Überhaupt nicht.

Die Läden in dem Straßenzug, der hier als „Innenstadt“ bezeichnet wird, machen ab 12.00 Uhr alle Mittagspause, weil hier so wenig los ist1. Dafür gibt es aber alle fünf Meter einen Schuhladen.2 Hier auf dem platten Land ist man wahrscheinlich viel zu Fuß unterwegs. Oder so.

Anfangs hab ich immer gesagt, das schönste an Brake sei unsere Wohnung. Der Meinung bin ich noch immer, größtenteils, aber dazu später. Mittlerweile habe ich erfahren, dass wir in unserer schönen kleinen Wohnung, die sich in einem Mehrfamilienhaus, wie ich es von zu Hause kenne, befindet, im „Ghetto“ von Brake wohnen. Ohne Scheiß! Das muss man sich mal überlegen: meine Eltern wohnen in Magdeburg in einem ganz ähnlichen Bau und damit in einer der beliebtesten und teuersten Wohngegenden Magdeburgs! Und hier wird sowas als „Ghetto“ bezeichnet. Ich persönlich finde dagegen die gehobeneren Wohngegenden von Brake ziemlich gruselig. Vielleicht hab ich einfach zu viele amerikanische (Horror-)Filme gesehen, in denen in peaceful Suburbia ganz schlimme Dinge passieren, vielleicht liegt es an meiner Sozialisation oder daran, dass ich es von jeher gewohnt bin, aber diese Einfamilienhäuser mit super gepflegtem, großen Vorgarten jagen mir immer einen kalten Schauer über den Rücken, wenn ich sie sehe, IMMER! Dann doch lieber im Slum wohnen.

Wenden wir uns von unserer Wohnung Richtung Bahnhof. Als nächstes kommt ein kleiner Weg an einem der unzähligen Bachläufe in Brake. Dieser ist teilweise das zweite Highlight Brakes, denn: Bachläufe bedeuten hier auch: Enten. Unzählige Enten. Besonders toll finde ich es dann um diese Jahreszeit, weil jetzt so langsam die neuen Kleinen schlüpfen und die sind ja sowas von knuffig und sehen verdammt flauschig aus. Enten fetzen halt. Kleines Manko: Manchmal haben wir das Gefühl, es gebe hier mehr Enten als Menschen. Chefchen meinte auch schon, sie würden sich zu Gangs zusammenrotten und arglose Fahrradfahrer dazu bringen, anzuhalten, um sich über sie her zu machen.3

Nächster Nachteil am Weg am Bach: diese Wasserläufe sind ja sowas von verdreckt! Ich habe echt das Gefühl, die werden von allen, die da lang laufen, als Müllhalde angesehen. Was da nich alles drin rumschwimmt: Haarspraydosen, Fußbälle, Silikonformen für Eiswürfel4, Einkaufstüten aus Plastik, Pfandflaschen uswusf, fehlt bloß noch der obligatorische Einkaufswagen. Fürchterlich! Und anstatt sich mal darum zu kümmern, lässt die Stadt einen kompletten Kahlschlag durchführen. Natur is ja auch sowieso doof und Bäume und Büsche braucht ja auch keiner.

Gehen wir den Weg weiter, kommt erst mal nix interessantes oder beschreibenswertes, bis wir an dem Zebrastreifen sind, den ich täglich benutze. Dieser Zebrastreifen und ich werden wohl niemals Freunde. Eine berechtigte Frage wäre jetzt: Gibt es in Brake denn keine Ampeln, über die wir gehen können? Doch die gibt es, aber der Zebrastreifen ist näher an meinem angestrebten Ziel und wenn ich ihn nicht benutzte, würde er ja irgendwann nutzlos5. Und außerdem sind Zebrastreifen ja eigentlich ganz praktische Dinger. Bis auf diesen.

Irgendein Scherzkeks in der Straßenplanung fand es wohl lustig, den Zebrastreifen so wenig wie möglich auszuschildern und kurz vor einer Kreuzung zu platzieren, die man folgendermaßen beschreiben kann:

Na, wer findet die Schilder? Wer würde diese Schilder sehen, wenn er von rechts oder links mit dem Auto kommt? Wahrscheinlich niemand. Auch die Braker Autofahrer nicht. Einmal wurde ich fast angefahren, weil ein langsamer werdendes Auto für mich bedeutet, dass der Fahrer oder die Fahrerin mich gesehen hat und weiß, dass er oder sie anzuhalten hat. Auf einem Zebrastreifen hat der Fußgänger nämlich Vorrang. Die Tussi in dem Opel wollte mir aber wohl gar nicht zeigen, dass sie mich gesehen hat, sondern wollte einfach nur ein bisschen langsamer werden, um dann wieder aufs Gas drücken zu können. Sie bremste nämlich ziemlich hart, als ich meinen ersten Fuß vorsichtig auf die Straße setzte. Ich dachte mir „Naja, kann ja mal passieren, dass man irgendwie am träumen ist.“ Als ich dann aber vor ihrer Motorhaube weg war, fuhr sie mit quietschenden Reifen an, als hätte ich sie persönlich beleidigt. Und sowas geht mal echt gar nicht. Ich war stinkig.

Noch stinkiger wurde ich aber zwei Wochen später an jenem Zebrastreifen, als sieben6 Autos einfach so an mir vorbei fuhren, obwohl ich am Zebrastreifen stehend meine Bereitschaft zeigte, die Straße zu überqueren. Die letzte Autofahrerin guckte mich dann im Vorbeifahren so an, als dachte sie, ich stünde da zum Spaß. Auf dem Rückweg passierte Ähnliches, nur mit nicht ganz so vielen Autos, die mich ignorierten.

Nach dem Zebrastreifen kommt nicht mehr viel Weg, dann bin ich am Bahnhof und damit schon fast auf dem Weg nach Bremen, das mich jeden Tag wieder irgendwie entspannt.

 

tbc

  1. Sogar das eine oder andere Restaurant, hab ich mir sagen lassen []
  2. Die machen aber auch alle mindestens zwei Stunden Mittagspause []
  3. Ich weiß ja nich, aber für mich zählt der Niedlichkeitsfaktor da sehr hoch und verwirrt mich vielleicht []
  4. Nein, das ist kein Scherz []
  5. Und wahrscheinlich sehr, sehr traurig []
  6. Ja, ich habe gezählt []

Ein Gedanke zu „Brake: Die Kleinstadt und ich“

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