Gent. Kennt hier jemand Gent? Gent ist die Haupstadt der belgischen Provinz Ostflandern. Gent hat vieles zu bieten, doch durch eine Sache wurde Gent jetzt in Magdeburg „berühmt“. Gent hat einen „Vegi-Tag“ (oder Veggie-Tag, je nach Schreibweise). Vegi-Tag bedeutet in diesem Zusammenhang, dass an einem Tag in der Woche die Bürger auf Fleisch im Essen verzichten sollen. Die Schulspeisung an diesem Tag ist vegetarisch, ebenso die Essensausgabe in den stadteigenen Kantinen. Die Menschen in Gent wollen damit verschiedene Zeichen setzen, wie man u.a. hier nachlesen kann.
In Magdeburg kamen nun einzelne Stadtratspolitiker auf den Gedanken, so etwas auch mal einführen zu wollen. Wahrscheinlich auf Grund der persönlichen Verflechtungen und Bekanntschaften kam das Ganze auch auf die Tagesordnung des Magdeburger Studierendenrates der Universität. Ich habe gerade den Antrag an den StuRa nicht zur Hand, der übrigens bewilligt wurde, dafür aber den Antrag im Stadtrat in der ersten Fassung vom Ende des letzten Jahres. Darin heißt es u.a.:
Die Landeshauptstadt Magdeburg erklärt den DONNERSTAG, beginnend mit dem 29.10.2009 zu einem „Vegi-Tag“ und ruft die Magdeburgerinnen und Magdeburger auf, an diesem Tag freiwillig auf tierische Nahrungsmittel, insbesondere Fleisch und Wurst, zu verzichten und stattdessen regionale und ökologisch angebaute pflanzliche Lebensmittel zu verzehren.
Es ging also im wahrsten Sinne des Wortes um die Wurst und zwar die Wurst der Magdeburger. Viel wurde diskutiert und der Antrag letztendlich vor kurzem abgelehnt. Gestern kommentierte die ganze Sache dann irgendjemand vom MDF1, einem der Magdeburger Lokalfernsehsender. Dies geschah im Blog des Senders, der momentan nur aus einem Eintrag besteht, nämlich aus eben diesem Kommentar zum Vegi-Tag. Dieser Kommentar, der namentlich niemandem beim MDF1 zuzuordnen ist, beginnt mit folgenden Worten:
Am 1. Oktober 1933 wurde durch die Nationalsozialistische Regierung der so genannte Eintopfsonntag ins Leben gerufen. In der Zeit von Oktober bis März sollte an jedem ersten Sonntag im Monat in den deutschen Haushalten nur Eintopf gegessen werden. Dabei wurde festgelegt, dass eine solche Mahlzeit nur 50 Pfennig kosten, und das gesparte Geld dem Winterhilfswerk zugute kommen solle.
Eindrucksvoll wird hier zunächst bewiesen, dass man Nazi-Vergleiche scheinbar wirklich überall unterbringen kann.1 Besonders passend sind Nazi-Vergleiche natürlich, wenn sie überhaupt nicht passen. Aber lassen wir uns ganz ganz kurz auf diese Argumentation Herführung dieses sinnlose, geistige Gekotze ein. Mir persönlich fehlt in dem Artikel ja nur noch die Uhrzeit des Beschlusses. Woher weiß der anonyme Autor das so genau? Die Antwort ist recht einfach, man vergleiche mal das oben zitierte mit dem nachfolgenden Zitat:
Der Eintopfsonntag wurde in Deutschland am 1. Oktober 1933 durch das NS-Regime ins Leben gerufen.
In der Zeit von Oktober bis März sollte an jedem folgenden ersten Sonntag im Monat in allen deutschen Haushalten nur Eintopf gegessen werden. Die Kosten, die diese Mahlzeit verursachte, durften pro Person 50 Pfennig nicht überschreiten. Das für das sonst übliche Sonntagsessen ausgegebene und damit gesparte Geld musste dem kurz zuvor gegründeten Winterhilfswerk und somit Bedürftigen gespendet werden.
Hut ab, das hätte selbst Helene Hegemann kaum besser hinbekommen. Woher ich das zweite Zitat habe? Ratet doch mal. Naja, der unbekannte Meisterschreiber hat ja schon ein bisschen umgestellt und den Konjunktiv am Ende des ersten Zitates könnte man wohlmeinend als Andeutung auf eine Fremdübernahme deuten. Herr/Frau Meisterschreiber gibt aber gleich zu Beginn des nächsten Absatzes zu, dass solche Vergleiche nicht gerne gehört werden.
Es ist mir schon klar, dass solche Vergleiche nicht gern gehört werden, aber irgendwie drängt er sich bei mir auf, als ich die Diskussion um einen VEGI Tag im Magdeburger Stadtrat verfolgen durfte.
Meine Empfehlung: Woanders hinstellen, wenn man von bescheuerten Vergleichen bedrängt wird. Die gehen von alleine weg, wenn man erstmal kurz an die frische Luft geht. Nach der Bekundung des Autors, dass es „recht so“ ist, dass der Antrag im Stadtrat von Magdeburg abgelehnt wurde, schraubt sich der Schreiber weiter durch seinen merkwürdigen Nazi-Vergleich, mischt allerdings noch ein bisschen DDR hinzu.
Sonst [bei einer Annahme des Antrages] hätte man gleich mit entscheiden können, ob nicht wieder ein Blockwart oder eine HGL eingeführt wird, die Verstöße melden. Die politischen Entscheidungsträger sollten mal darüber nachdenken, was sie da beantragen und wie weit die Freiheit zu essen was man will, durch die Politik eingeschränkt werden darf.
HGL stammt aus dem DDR-Sprachgebrauch und bezeichnet eine „Hausgemeinschaftsleitung„. Der hier aufgemachte Gedankengang ist aber interessant: Durch den Aufruf an die Magdeburger freiwillig an einem Tag auf Fleisch zu verzichten, schreibt die Politik also vor, was man essen darf und was nicht. Selbst wenn man noch stärker dem Vorbild aus Gent folgt und Schulen und städtische Kantinen an einem Tag nur oder größtenteils vegetarisches Essen auffahren, selbst dann hat das mit „die Politik schreibt vor, was man essen darf und was nicht“ ungefähr so viel zu tun wie die Erfindung des Rades mit dem Rubikwürfel. Liebe/Lieber Herr/Frau Meisterschreiber: Ein Tag, an dem man aus, zum Teil, guten Gründen freiwillig auf Fleisch verzichten soll, hat nichts mit vorschreiben zu tun. Es ist eine Empfehlung. Und selbst wenn Schulen und städtische Kantinen an diesem einen Tag nur vegetarische Produkte anbieten, dann ist dies nichts anderes, als sie sonst auch tun. Wenn man nicht selbst kocht, sondern andere für sich kochen lässt, dann bestimmen immer die Anderen, was es zur Auswahl gibt und was nicht. Oder stehen Sie, Herr/Frau Meisterschreiber, während der „italienischen Woche“ in ihrer MDF1-Cafeteria auch vor der Küchenfrau und beschimpfen sie als Nazi, nur weil es heute Spaghetti und kein Rindsgulasch gibt? Oder schimpfen Sie auch ganz regulär, wenn es gerade etwas anderes gibt, als Sie eigentlich essen wollen? Sie müssten es, wenn Sie ihrer eigenen „Argumentation“ folgen würden.
Die Schimpftirade im Blogeintrag des MDF1 setzt sich dann ürbigens mit einer ausgewogenen Betrachtung des Entschlusses des Magdeburger Studierendenrates2 fort:
Der Studentenrat schafft vollendete Tatsachen und will den VEGI Tag jetzt in den Mensen der Uni durchsetzen. Die Propaganda des Studienrates heißt „Informationskampagne zum übermäßigen Fleischkonsum“. Außerdem, so wörtlich in der Medienmitteilung: „sollen vielfältige vegetarische Kochrezepte vorgestellt werden, die die Studenten anregen sollen, abwechslungsreiche vegetarische Gerichte kennen zu lernen“. Das klingt leider fast wie das Vorwort zum Eintopfkochbuch von Erna Horn aus dem Jahr 1933.
Wie gesagt, den Antrag beim StuRa hab ich nicht zur Hand, dafür aber die Pressemitteilung zum Beschluss.3 Auch wenn beim MDF1 hier mal mit einem Zitat gearbeitet wird („Informationskampagne zum übermäßigen Fleischkonsum“) oder es zumindest aussieht wie ein Zitat, so ist dies zwar an sich löblich, aber das Zitat steht so gar nicht in der Pressemitteilung drin. Dort heißt es nämlich:
Gleichzeitig würde eine Informationskampagne in der Mensa durchgeführt, die die Probleme im Zusammenhang mit übermäßigem Fleischkonsum aufzeigt.
Das hat nichts mit „Propaganda“ zu tun4, sondern mit Information. Übermäßiger Fleischkonsum ist nicht das Gesündeste, was man seinem Körper antun kann, Punkt. Und was heißt hier „sollen vielfältige vegetarische Kochrezepte vorgestellt werden, die die Studenten anregen sollen, abwechslungsreiche vegetarische Gerichte kennen zu lernen“ klinge wie das Vorwort zum Kochbuch von Erna Horn? Wenn es schon wie ein Kochbuchvorwort klingt oder wie Kochbuchwerbung, dann klingt es wie Werbung für ein ganz normales, handelsübliches Kochbuch. Und was soll eigentlich diese Rumreiterei auf „Erna Horn“? Bei Wikipedia steht zwar „In den Zeitungen wurden wiederholt Eintopfrezepte als Vorschläge veröffentlicht, es erschien auch ein Eintopf-Kochbuch von Erna Horn.“, das heißt aber noch lange nicht, dass Erna Horn jetzt der Goebbels der deutschen Küchen war. Wer auf den bei Wikipedia verlinkten Namen klickt, dem wird nämlich schnell klar, dass Erna Horn keine arische Meisterköchin war5, sondern schlicht eine Dame, die eine große Masse an Kochbüchern fabriziert hat und sich vor allem im Deutschland der Nachkriegszeit großer Beliebtheit erfreute.6 Um noch einmal auf den Beschluss des Studierendenrates zurückzukommen: Die entsprechende Nachfrage ist noch unterwegs, aber auch der Beschluss des StuRas hat mit „die Politik schreibt vor, was man essen darf und was nicht“ auch so rein gar nichts zu tun. In der Pressemitteilung heißt es nämlich auch:
Die Verhältnisse sollen donnerstags in der Uni-Mensa umgekehrt werden – dann würden nicht mehr fast ausschließlich Fleisch und Fisch in der größten Kantine Magdeburgs angeboten, sondern die Studierenden können sich über leckere und vielfältige vegetarische Gerichte freuen.
„Die Verhältnisse sollen umgekehrt werden“ klingt für mich persönlich jetzt nicht danach, dass es an dem Tag nur vegetarisches Essen gibt, sondern dass es schlicht mehr vegetarische Gerichte als Gerichte „con Carne“ gibt. Dementsprechend passt der Schluss des Artikels beim MDF1 auch gar nicht. Dort heißt es:
Deshalb liebe Studenten und Vegetarier, der Blick in die Geschichte bewahrt vielleicht vor all zu viel Fatalismus bei der Durchsetzung von bestimmten Interessen. Noch ist die Bundesdeutsche Gesellschaft eine der tolerantesten, die es auf der Welt gibt. Und deshalb hat die Politik nichts auf dem Teller der Menschen zu suchen. Das ist und bleibt Privatsache.
Wie „tolerant“ die bundesdeutsche Gesellschaft ist, zeigt ja der Artikel beim MDF1. Auch ohne Vegi-Tag gibt es Vegetarier und Veganer in Deutschland, egal was man davon hält. Diese Menschen werden eigentlich immer beim durchschnittlichen Kantinenessen benachteiligt. Während die „Fleischesser“ aus verschiedenen Gerichten wählen können, gibt es an veganer Kost meist nur recht wenig. Nun soll dies an einem Tag in der Woche umgekehrt werden. An einem Tag soll es mehr vegetarische Gerichte als fleischhaltige Gerichte geben7 und schon muss man beim MDF1 die Nazi-Vergleichs-Keule aus dem Schrank holen? Herr/Frau Meisterschreiber empfiehlt einen Blick in die Geschichtsbücher. Kennt hier jemand einen guten „Journalistenratgeber“ oder einen in Magdeburg ansässigen Journalistenverband? Man könnte dem MDF1 ja mal ein paar entsprechende Ratgeber zum Thema Recherche und Argumentation zur Verfügung stellen. „Recherche für Wurstesser“ oder so. Apropos Wurstesser: Herr/Frau Meisterschreiber will sich am Samstag mit anderen „Wurstessern“ zu einem „Lemsdorfer Lümmel“ treffen. Na wenigstens ist das Rezept von 1924, dann ist ja alles in Ordnung.
Achja, eine kleine Sache noch. Wer hat denn bei der ganzen Sache „Fatalismus“ an den Tag gelegt? Wurde da vielleicht „Fanatismus“ gemeint?
Update: Mittlerweile konnte ich mal einen Blick auf den Antrag der GHG im Studierendenrat werfen (Danke dafür!) und es ist tatsächlich so, wie ich die Pressemitteilung interpretiert habe. Zu Anfang des Antrages heißt es:
Ziel soll es sein, einmal pro Woche (Donnerstags) die Verhältnisse gewissermaßen umzukehren und mehrere, hochwertige vegetarische Gerichte, aber nur ein Fleischgericht anzubieten. Dadurch sollen Menschen, die bisher nicht viel mit vegetarischem Essen anfangen konnten, zu einem bewussteren Umgang mit Fleisch und den damit verbundenen Problemen (Gesundheit, Tierrechte, Klimaschutz) animiert werden.
Soviel also zu dem, was ich schon hinlänglich beschrieben habe und was der anonyme Schreiber beim MDF1 sich „gedacht“ hat: Es geht nicht darum, nur vegetarische Gerichte aufzutischen, sondern halt bedeutend mehr vegetarische, als fleischhaltige Gerichte.
Einen etwas ausführlicheren Artikel zum Vegi-Tag in Gent findet man übrigens bei der ZEIT.
- Ja, ich bin mir solcher Begriffe wie „Veget-Arier“ bewusst. Da ich die bisher aber nur im SPON-Forum gelesen habe, lasse ich die einfach mal außen vor. [↩]
- Ja, Studierendenrat heißt das Ding jetzt, lieber MDF1, nicht mehr Studentenrat. Und ein Studienrat ist nun schon wieder was ganz anderes. [↩]
- Wer Ähnlichkeiten zwischen den Überschriften beim MDF1 und beim StuRa findet, darf sie behalten. [↩]
- Wer hätte DAS jetzt gedacht? [↩]
- Auch wenn sie wohl ein aus heutiger Sicht etwas antiquiertes Rollenverständnis hatte. [↩]
- Ob das 1933 erschienene Kochbuch „Der Eintopf – das deutsche Spargericht“ überhaupt ein „Vorwort“ hatte, hab ich nun aber nicht rausgefunden. [↩]
- Was ist eigentlich das Gegenteil von vegetarisch? Carnivorisch? [↩]
Die entsprechende Nachfrage ist noch unterwegs, aber auch der Beschluss des StuRas hat mit “die Politik schreibt vor, was man essen darf und was nicht”
Dazu kann ich was sagen, da ich den Antrag der GHG kenne.
Das hast du richtig erkannt;) ich glaub, dass 3 vegetarische Gerichte angeboten würden (immer dran denken dass das Studentenwerk bei dem Ganzen ja die Entscheidungsgewalt hat;) und 1 Gericht „con carne“. Wobei das ja auch nur für die Mensa unten gilt, oder?
Hab ich die PM also doch richtig gelesen. Wenn die Sache sogar nur für die Mensa unten gilt, dann ist das Ganze ja noch weiter von dem entfernt, was der MDF1 da zusammenfantasiert, als es jetzt schon der Fall ist.
Kopfschüttel/Stirnrunzel
Vielen Dank für die Klärung des Sachverhalts bzw. das Update! (^_^)In
Wollte mir ja eigentlich grade den Blogeintrag bei MDF1 mal angucken, aber der macht ja Augenaua ohne Ende. 😯