Große Aufregung herrschte im kleinen Dorf. Die kleine eingeschworene Gemeinschaft brauchte eine neue Führung. Die alte war nicht unbedingt bei allen beliebt, aber hauptsächlich hatte die kleine Dorfgemeinschaft irgendwann mal etwas davon gehört, dass Demokratie und Wahlen toll seien. Aus diesem Grund werden alle 6 Jahre die Führungskräfte neu gewählt.
Schon bei der letzten Wahl wurde der Frieden im Dorf leicht gestört. Der Demokratie war, mit vier zur Wahl stehenden Personen, Genüge getan worden. Ein Architekt und ein Beamter aus dem Sozialamt hatten die Wahl gewonnen. Aber dies konnten und wollten die Anhänger der Opposition nicht auf sich sitzen lassen! Ihr Kandidat, der Schornsteinfeger, wäre schließlich der einzig Richtige für den Posten. Also setzten sie alle Hebel in Bewegung und erreichten schließlich eine Neuwahl. Dieses Mal traten nur ihr Kandidat und ein Ich-mach-nur-die-Nummer-Zwei-und-das-auch-nur-wenn-kein-anderer-will-Kandidat an. Der Ausgang der Wahl erklärt sich von selbst, vor allem da es den Dorfbewohnern ansonsten zu viel geworden wäre. Ständig dieses Wahlgedöns, geht doch gar nicht.
Die sechs Jahre vergingen, unliebsame Zeitgenossen wurden aus der Dorfgemeinschaft verdrängt, bei den braven Steckenpferden stets ein Auge zugedrückt. Mit der Zeit vergingen auch die meisten Freizeitaktivitäten, die einst die Gemeinschaft zusammen betrieben hatte. Die neue Führung schien daran nicht so viel Interesse zu haben. Aber gewählt ist halt gewählt, sagte man sich. Die nächste Wahl kommt und dann werden wir aufstehen und uns wehren, dachte man sich.
Die nächste Wahl war ran, keiner stand auf.
Zu wählen waren wieder der Schornsteinfeger und einer seiner ergebensten Diener, der Elektroinstallateur, welcher mittlerweile nur noch im Büro sitzt und einem anderen Beruf nachgeht. „Eine große Auswahl, wirklich!“, mögen sich manche gedacht haben. Der Schornsteinfeger wurde, aus Mangel an Alternativen, sofort wieder gewählt. „Fachlich und so weiter bringt er es ja. Nur schade um das Gemeinschaftsgefühl…“, murmelten einige, aber ansonsten blieb es ruhig. Nur der kleine Diener des Schornsteinfegers, den wollten sie nicht haben. Die Mehrzahl der Stimmen war gegen ihn. Eigentlich wäre dies jetzt ein Problem, denn andere Kandidaten gab es eigentlich nicht. Aber zum Glück waren noch Reste des alten, früher oppositionellen, Kaders übrig und sprangen auf.
„Ihr müsst ihn wählen, dass wurde im Dorfrat alles schon besprochen! Wir haben schon alles abgeklärt und das passt so! Ihr kleinen Dörfler habt keine Ahnung, wir machen das schon für euch!“, rief der Sattlermeister, ein alter, gemütlicher Herr. Er war schon lange im Dorfrat und hatte sich an den Schornsteinfeger gewöhnt. Der machte einem keinen Ärger, solange man auf seiner Linie blieb.
Also wurde noch einmal gewählt und der Diener bekam seine Mehrheit. Wenn schon alles im Dorfrat besprochen und beschlossen wurde, was solle man dann schon noch dagegen tun.
Nun hat das Dorf wieder seine, durch und durch legitimierte, Führung.
„Bossa nova, simile bossa seneca!“ rufen, in Straßenlatein, die aus, die man einst vertrieb, weil sie nicht ins System passten.
Andere fragen sich, was wohl die Satzung dazu sagt.
Wieder andere fragten sich nichts und sagten auch nichts.
Aber so ist das mit der Demokratie, auch wenn sie an die DDR erinnert: Man bekommt, was man verdient und manche Leute wird man einfach nicht los. Da kann man wählen wie man will, das bleibt, das ist wie Scheiße am Schuh.
Aber mal ehrlich. Selbst die Scheiße, die an Schuhen kleben bleibt hat doch sowas wie stolz, oder? Selbst die klebrigste Pampe bekommt es mit, wenn sie nicht gewollt ist und sucht sich einen etwas positiver gesinnten Schuh . Anders gesagt: Absprachen hin oder her, wenn man an halbwegs gesundem Menschenverstand leidet, dann nimmt man einen Posten nicht an, wenn man keine Mehrheit hat. Keine Mehrheit bedeutet, dass die Mehrheit einen einfach nicht will!
Okay, wenn man nicht an gesundem Menschenverstand leidet, dann folgt man einfach der Diktatur und den „Gesetzen“, die die Führung zu irgendwas ermächtigen und gut ist. Ja, so ist das, wenn man an der Demokratie irgend etwas falsch verstanden hat.
Nun bleibt abzuwarten, wann ich aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen werde. Mich deucht, das kann nicht mehr so lange dauern.
Demokratie, vor allem demokratische Wahlen, scheint – gerade in Bezug auf die ach so politisch engagierten Dörfler – wohl nicht zu ihrem Wortschatz zu gehören. Schlimm nur, daß man mit solch bizarren Vorgehensweisen auch noch ans gewünschte Ziel kommt. Ich bin für Rebellion…
Koppschüttelnde Grüße aus der Heimat :o)
Ich gehöre zu den kleinen Kreis, die wissen, was es mit dieser „Dorfgeschichte“ auf sich hat.Mir hat man als ungeliebter Abteilungsleiter dieser Gemeinde auch nur Steine in den Weg gelegt.Werte, die für mich wichtig waren, zählten nach der „Machtübernahme“ vor 6 Jahren nicht mehr.Ein kleiner Kreis hat noch lange vergebens gekämpft – doch letztendlich war alles verloren.
Wurde nicht ausgestoßen – habe freiwillig das Weite gesucht.
Du hast die Vorkommnisse in dieser Gemeinde so beschreiben, wie sie keiner hätte besser beschreiben können. Dieser Text hat mir sehr viel Freude bereitet – beschreibt er doch genau das , was diese Gemeinde in den letzten Jahren verloren hat.